Öffentlichkeit unter Verschluß

■ Torsten Haake-Brandt zeigt im Künstlerhaus Bethanien sein Projekt »Umgraben«

Was passiert, wenn ein junger Künstler — aus Sorge um seinen Wert für die Gesellschaft — beschließt, sich als Schulrat zu bewerben? Oder vielleicht als Straßenkehrer bei der Müllabfuhr? Er wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Torsten Haake- Brandt überstand bei der Schulbehörde in Pankow immerhin fünfzehn Minuten, bis man ihn nach seinen Zeugnissen fragte. Die Berliner Stadtreinigung dagegen lehnte kategorisch ab.

Im Studio III des Künstlerhauses Bethanien am Mariannenplatz sind derzeit unter dem Motto Umgraben Objekte und Relikte einer Reihe von Aktionen zu sehen, deren Ziel es ist, mittels einer gehörigen Portion Witz Begrifflichkeiten und festgefahrene intellektuelle Strukturen aufzulockern, um damit das Denken im allgemeinen und den Diskurs über Kunst im speziellen voranzutreiben. Grundlage der Projekte ist das Interesse an der Stellung des Künstlers in der Gesellschaft.

Vom Künstlerhaus Bethanien aus, wo Haake-Brandt für ein Jahr Wohn- und Arbeitsstätte fand, verschickte der Hamburger Konzeptkünstler Bewerbungen auf Posten des Generalintendanten der Aachener Theater, eines Lebensmitteltechnologen in einer Marmeladenfabrik oder des Hochbauamtsleiters beim Bezirk Tiergarten.

In weiteren Unternehmungen startete Haake-Brandt die Umfrage »Sollen Künstler Uniformen tragen?« und veranstaltete als Robert van Ackerens jüngerer Bruder im Geiste ein Preisausschreiben für die beste Jagdgeschichte in der Zeitschrift 'Wild und Hund‘.

Er spendete bekannten und unbekannten Kollegen den Betrag von fünf Mark »als Anerkennung und Unterstützung für Ihr Werk«, verbunden mit der Bitte, ihm zu antworten und mitzuteilen, wofür der Betrag verwendet wurde.

Die Reaktionen reichten von belustigter Absage über »bildschöne« Beispiele standardisierter, hirnloser Geschäftssprache bis zu völliger Verständnis- und Humorlosigkeit. Die »Deutsche Friedensgesellschaft/ Vereinigte Kriegsdienstgegner« schickte zu der Uniform-Frage einen zumindest die Form wahrenden Brief. Immendorf und Lüpertz zogen es vor, sich nicht zu melden, behielten aber das Geld. Und beim Hochbauamt bedauerte man, daß die Wahl — »da mehrere Bewerbungen vorlagen und eine Auswahl notwendig wurde« — auf einen anderen gefallen war.

Hinter dem Humor, mit dem Haake-Brandt seine Aktionen betreibt, steckt ein ernstes Anliegen. Die Arbeiten bieten einen interessanten Querschnitt durch die absonderlichen Irrwege konditionierter Kommunikation und subjektiver Aufnahmefähigkeit. Dadurch, daß er ausgetretene Pfade des Rationalismus verläßt, legt der Künstler geistige Tabuzonen im alltäglichen Zusammenleben bloß.

Haake-Brandt wäre Satiriker, hätte er nicht seine Ansätze und Gedanken in eine konkrete, zugleich sich selbst transzendierende Form gebracht. Er benutzt alltägliche Gebrauchsgegenstände als lesbare Zeichen, als dreidimensionale Metaphern. Im ansonsten kahlen Studio III stehen fünf Seminarstühle in einer Reihe, auf deren Schreibpulten verschiedene fest verschlossene Präsentationsmappen liegen. Sie bergen die Dokumentation der einzelnen Projekte.

Ferner befinden sich im Raum drei mit Vorhangschlössern gesicherte Spinde und ein umgedreht angeketteter Kochtopf. Das offensichtlich Versteckte entfaltet seine Wirksamkeit. Haake-Brandts Leistung besteht darin, daß man unwillkürlich den Drang verspürt nachzuforschen, was es mit diesen Installationen auf sich hat. Sie besitzen die Aura des Geheimnisvollen, die der Künstler produktiv, das heißt Neugierde weckend einsetzt.

Hilfestellung bei der Entschlüsselung der Arbeiten muß allerdings der Katalog bieten, in dem einige der Antwortbriefe abgedruckt und die Spinde in geöffnetem Zustand gezeigt werden. So können die Besucher dem Rätsel selbst auf den Grund gehen, und das ist gut, denn man sollte »nie das Umgraben vergessen! Der Boden verdichtet sich sonst zu sehr.« (Torsten Haake-Brandt) U. Clewing

Bis 26. Januar, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, täglich außer montags 14-19 Uhr.