Wen der Schlag trifft...

■ Dritthäufigste Todesursache in Deutschland: der Apoplex/ Immer mehr jüngere Opfer

Berlin. Der Schlaganfall, Hirninfarkt oder Apolex wird wegen seines plötzlichen Eintretens und seiner schwerwiegenden Folgen besonders gefürchtet — als Bedrohung ernst genommen wird er jedoch nach Ansicht von Experten noch nicht im erforderlichen Ausmaß. Dabei sind die Zahlen alarmierend. Der Schlaganfall ist in Deutschland nach Herzinfarkt und Krebs die dritthäufigste Todesursache. Zwischen 300.000 und 400.000 Menschen, in der Mehrzahl Frauen, erleiden ihn jährlich — für rund 100.000 von ihnen endet er tödlich, ein Drittel der Betroffenen wird zum Pflegefall. In den letzten Jahren ist vor allem die Zahl jüngerer Apoplektiker gestiegen. Nach Ansicht des Berliner Schlaganfallexperten Professor Karl-Heinz Mauritz, Ärztlicher Direktor der Rehabilitationsklinik Berlin, ist die ökonomische und gesundheitliche Bedeutung des Schlaganfalls denn auch wesentlicher größer als bisher angenommen. »Die ohnehin hohen Zahlen müßten noch nach oben korrigiert werden, da viele Schlaganfälle als ‘Herzkreislauferkrankungen‚ geführt werden. Daher ist die Zahl der Apoplektiker wahrscheinlich noch viel höher, als sie in den Statistiken erscheint.« Gerade bei den jüngeren Patienten läßt sich nicht immer genau klären, welche Ursachen hinter dem Schlaganfall standen. Über die Faktoren, die ihn im allgemeinen begünstigen, sind sich die Fachmediziner dagegen einig. Es sind weitgehend dieselben, die auch das Herzinfarktrisiko vergrößern — als Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Diabetes, Rauchen, falsche Ernährung, Übergewicht, Bewegungsmangel — hinzu kommen bestimmte Medikamente, vor allem die Antibabypille.

Da größtenteils beeinflußbare Umstände wie Ernährung oder Streß eine Rolle spielen, kommt der Vorbeugung eine wichtige Bedeutung zu. Auch die Möglichkeiten zur Früherkennung einer Hirninfarkt- Gefahr haben sich verbessert. Dennoch: Beginnt sich beim Herzinfarkt mittlerweile herumzusprechen, daß jede Stunde zählt — so läßt die Aufmerksamkeit und Informiertheit beim Thema »Hirninfarkt« zu wünschen übrig. Der Schlaganfall ereilt die Betroffenen häufig im Schlaf, was wahrscheinlich auf die nächtliche Blutdruckabsenkung zurückzuführen ist. Wacht der Betroffene auf und spürt die typischen Lähmungserscheinungen, kommt es auf jede halbe Stunde an. Manchmal ist es nämlich möglich, durch medikamentöse Behandlung bleibende Schäden zu reduzieren oder zu vermeiden. Der Patient muß schnellstmöglich auf die Intensivstation kommen — eine Tatsache, die vielen Notfallärzten nicht bekannt ist.

Hinsichtlich der therapeutischen Möglichkeiten sei man allerdings nicht mehr ganz so euphorisch wie noch vor ein paar Jahren, meint Mauritz. »Beim Schlaganfall spielt sich Ähnliches ab wie in der Medizin überhaupt. Der bisher vernachlässigte Bereich der Rehabilitation ist dabei, sich mehr und mehr zu etablieren. Und das ist notwendig, denn die Zahl der Patienten mit chronischen Ausfällen steigt. Die ‘totale Heilung‚ ist mittlerweile sehr selten geworden. Dadurch wird die Rehabilitation zu dem Wachstumsgebiet innerhalb der Medizin.«

Das unterentwickelte Problembewußtsein beim Apoplex zeigt sich nach Ansicht von Mauritz deshalb auch nicht zuletzt daran, daß fast jeder Herzinfarktpatient in eine Rehabilitationseinrichtung kommt, aber nur jedes fünfte Schlaganfallopfer. Viele Patienten und auch manche Akut-Ärzte wissen nicht, daß durch die stationäre Nachbehandlung ein großer Teil körperlicher Funktionsausfälle ausgeglichen werden kann. Für die Berliner Schlaganfallpatienten — rund 28.000 sind es zur Zeit, jährlich kommen etwa 8.000 hinzu — standen die Chancen für eine Rehabilitation lange Zeit sehr schlecht. Erst seit 1988 hat der Westteil der Stadt mit der »Klinik Berlin« in Kladow eine entsprechende eigene Einrichtung.

Obwohl Berliner Schlaganfallpatienten jetzt also auch zur stationären Rehabilitation nicht mehr nach Westdeutschland reisen müssen, ist die Situation immer noch sehr schwierig. Bis zu sechs Wochen müssen die Betroffenen auf einen Platz in der Klinik Berlin warten — ein Zeitraum, in dem aus vorübergehenden Ausfällen bereits bleibende Schäden werden können. Voraussichtlich gegen Ende 1992 soll zwar eine weitere Reha-Einrichtung in Hoppegarten in Betrieb genommen werden — aber auch dann wird erst für die Hälfte der 8.000 Berliner Patienten ein Klinikplatz vorhanden sein. Peter Tomuscheit