KOMMENTARE
: Gefahr Demokratie

■ In Algerien setzten die Militärs die Absage parlamentarischer Wahlen durch

Die sorgfältige Schulung der algerischen Generalität in den Militärakademien von Westpoint und Saint-Cyr hat am Wochenende ihre Früchte getragen — selten wurde ein Putsch so leise als demokratisches Schattenspiel inszeniert, die Mißachtung eines Volkswillens so schlau getarnt, die Rettung einer Unrechtsherrschaft so fein auf okzidentale Ohren abgestimmt. Die ersten wohlgefälligen Kommentare im Westen zeigen, daß der Streich geglückt ist.

Zum zweiten Mal hatten die AlgerierInnen zum Jahresende klar ausgedrückt, daß sie ihr Geschick in die Hände der Islamischen Heilsfront (FIS) legen möchten. Und wieder droht das algerische Regime seinem Volk mit einem Blutbad — im Namen von Demokratie und Laizismus. Die Botschaft der Generäle heißt: Demokratie ist, wenn ihr so stimmt, wie wir wollen. Und: Ihr seid noch nicht reif für die Demokratie.

Paradoxerweise ist den Islamisten gerade ihre Mäßigung in die Quere gekommen. Als echte „Gruadualisten“ waren sie bereit, die Macht auf absehbare Zeit zu teilen und die Einrichtung der Scharia auszusetzen. Das entspricht dem algerischen Lebensgefühl und den Prioritäten der FIS — die Islamisten sehen in der Neuverteilung des nationalen Reichtums, in der Brechung der Monopole und Ausräumung der Privilegien obligatorische Voraussetzungen für die Islamische Republik. Die Generäle haben nicht für die Demokratie, sondern gegen das Wirtschaftsprogramm der Islamisten und ihren Gesellschaftsentwurf geputscht. EG und IWF werden's ihnen danken. Und der Westen hat, nachdem der Kommunismus dieser Aufgabe nicht mehr nachkommt, ein neues Feindbild.

Die Islamisten halten westliche Modelle wie Sozialismus oder Demokratie für abgewirtschaftet. Sie haben nicht verhehlt, daß sie die parlamentarische Demokratie abschaffen möchten.

„Darf man die Demokratie den Feinden der Demokratie überlassen?“ fragen nun viele und machen schlau den Link zum Faschismus. In dieser Frage stecken jede Menge unredlicher Prämissen. Etwa die Annahme, nur die bürgerliche, parlamentarische Ordnung sei Demokratie oder der Kurzgriff, die faschistische Versuchung sei ein algerisches Problem, weil die Islamisten die dominierenden westlichen Lebensnormen zurückweisen.

Aber der Punkt ist anderswo: In Algerien spielen die Vergewaltiger der Demokratie ihre sittlich reinen Retter. Unser Beifall verunglimpft das Beste, was der Okzident zu bieten hat. Für die AlgerierInnen hat sich an diesem Wochenende der begründete Verdacht bestätigt, daß die Demokratie nichts anderes sei als die Herrschaftsform einer schmalen blutsaugenden Kaste. Oliver Fahrni