Keine Empörung über den Putsch

■ Vorsichtige Zurückhaltung bei europäischen Mittelmeeranrainern/ Angst vor Fundamentalisten im eigenen Land

Berlin (taz) — „Legal und legitim“ titelte die angesehene spanische Tageszeitung 'El Pais‘ gestern ihren Kommentar zu den Ereignissen in Algerien. Offenherzig spendete sie den Militärs Beifall für ihr Eingreifen. Damit hätten sie eine Dynamik unterbrochen, deren „wahrscheinlichster Ausgang eine Liquidierung der Demokratie“ gewesen sei. Angesichts der in islamischen Ländern weit verbreiteten Alternative zwischen Demokratie und Theokratie sei es jedoch „das schlimmste“, durch „Zweifel und Melancholie gelähmt“ zu werden.

Ganz so deutlich fiel das Lob für die algerischen Putschisten nicht überall aus. Doch in den meisten europäischen Kommentaren überwogen zumindest Zurückhaltung und Verständnis für die Generäle, die den Vormarsch der islamischen Fundamentalisten stoppten. Die ansonsten übliche „energische Verurteilung“ eines Militärputsches, der Verweis auf die demokratischen Rechte des Wahlvolkes und die Androhung von Boykottmaßnahmen blieben aus.

Besonders in den nördlich des Mittelmeers gelegenen Einwandererländern bestimmte die Angst vor einem Erstarken der islamischen Fundamentalisten das Bild. Bei der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich hatte Staatspräsident Fran¿ois Mitterrand bereits in der vergangenen Woche alle französischen Begehrlichkeiten, sich in die inneren Angelegenheiten des nordafrikanischen Landes einzumischen, zurückgewiesen. Diesem präsidentialen Ukas folgte jetzt auch das Außenministerium. In dessen erster Erklärung war höchst knapp von einem „wichtigen und folgenschweren Ereignis“ die Rede. Von Konsequenzen war keine Rede.

Gleichwohl begründet die Anwesenheit von mindestens einer Viertelmillion Algeriern in Frankreich auch ein besonderes Interesse. So sagte Innenminister Philippe Marchand, Frankreich müsse genau beobachten, was in Algerien vor sich gehe. Rückwirkungen möglicher Zwischenfälle in Algerien auf Frankreich müßten vermieden werden.

Für den Fall einer massiven Fluchtbewegung ist Frankreich vorbereitet: Marchand hält nach eigenen Worten ein Notprogramm in der Hinterhand. Auf die Frage, wie Frankreich mit Flüchtlingen vor der islamischen Heilsfront (FIS) umzugehen gedenke, hatte er bereits früher geantwortet, Flüchtlinge könnten nicht damit rechnen, politisches Asyl zu erhalten, nur weil sie Oppositionelle seien. Asyl bekäme nur, wessen Leben gefährdet sei.

Wie sehr das Thema „Algerien“ die französischen Gemüter berührt, zeigt die Reaktion der rechtsradikalen „Front National“, die ihre Wähler mit Fremdenhaß gewinnt. Deren Führer Jean-Marie Le Pen jubilierte am Wochenende im französischen Fernsehen, eine Fluchtbewegung aus Algerien sei das beste, was seiner Partei passieren könne.

Auch in Spanien, wo das Thema „algerische Fundamentalisten“ die Öffentlichkeit stark beschäftigt hatte, meldete sich am Wochenende nur der Außenminister mit einem knappen Statement zu Wort. Francisco Fernandez Ordonez bedauerte das Abdanken von Chadli Benjedid. Mit dessen Regierung hatten die spanischen Sozialisten eben erst einen Millionenvertrag über die Lieferung algerischen Erdgases beschlossen. Danach soll unter dem Mittelmeer eine Pipeline verlegt werden, die Spanien mit einem großen Teil seines Energiebedarfs versorgt. „Mit solchen Ländern“, so gestern mehrere Madrider Tageszeitungen, macht man eben keine Geschäfte. dora