Mütterleinsprache

■ Heimat: die Immobilie der Literatur / Morgen fängt die Literarische Woche an

Vor lauter Fülle dauert die Literarische Woche schon dreimal so lang wie unsere gewöhnlichen: morgen beginnt und am 7. Februar erst endet die heurige bremische. Und hat sich erstmals einer Ordnungsmacht, nämlich einem begreiflichen Thema gefügt: es wird um das sog. Regionale der Literatur gehen, um ihr Herkommen, dem sie nicht entkommt, um den Ort, wo sie zuhaus ist und noch ein Mütterlein hat.

Die alte „Immobilie Heimat“ ist ja doch die einzige, in der die Literaten sich auskennen, und sie zahlen es ihr in der Regel ein Leben lang heim: der Mecklenburger Uwe Johnson oder auch Rolf- Dieter Brinkmann, der sich gar nicht weit genug von Vechta entfernen konnte oder aber auch unser ebenfalls gestorbener einheimischer Konrad Weichberger (1877-1948), dem der Kopf sowieso allzeit überall stand.

Sie alle und noch ein paar mehr werden uns jetzt also zusammengerückt, und wir dürfen vergleichen und rückschließen und müssen nicht mehr, wie früher, dutzenderlei Lesungen, Filme und Debatten bloß abfeiern, wie sie fallen.

Zentralgestirn der Woche ist Uwe Johnson (siehe den Text nebenan); die andern müssen die Planeten machen. Videos, Fotos, Handschriften aus und über Johnsons Produktion sind im Staatsarchiv zu sehen; umliegende Dinge bis hin zur Reliquie durchaus inbegriffen: sogar das Rennrad hat sich eingefunden, mit dem der alte Gustav-Adolf Schur 1958 als erster Deutscher die Straßenmeisterschaft in Reims gewonnen hat. Der populäre Schur ist damit, von der Sportgeschichte abgesehen, in Johnsons „Drittes Buch über Achim“ eingegangen.

Schon der umschweifende Johnson dürfte Weltmanns genug sein, vom Thema etwa angelockte Tümler zu erschrecken. Nicht Spökenkiekerei noch Winkligkeit sollen Platz haben, versicherte auch Senatsdirektor Opper, der nebenher der veranstaltenden Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung vorsteht. Die hat übrigens an Johnson ohnehin noch was gutzumachen: Immer mal wieder hatte ihn ihre Jury für den bremischen Literaturpreis erwogen, zuletzt 1983, bis er tot war.

Sonst sind versammelt: die plattdüütsche Widerborste Oswald Andrae, der von Hinterm Deich vorliest (26.1.); ferner die Träger des Bremer Literaturpreises, namentlich Ror Wolf und Durs Grünbein (Verleihung am 28.1.); ferner kommt aus seiner niedersächsischen Kate ante portas der Walter Kempowski (29.1.) mit seinem neuen Werk und zeigt, wie er, diesmal durch Mark und Bein, die Heimatliteratur vermehrt hat.

Sarah Kirsch liest aus zwei neuen Lyrikbänden, worin sich Schwingrasen und Spreu ihrer schleswig-holsteinischen Wahlheimat besungen finden (3.2.); und Claus Schuppenhauer vom Institut für Niederdeutsche Sprache stellt (2.2.) einen der führenden Krausköpfe der verschollenen Heimatbewegung vor: den Vegesacker Harry Wolff, den 1933 die Nazis um seine Zeitschriften und zehn Jahre später in Auschwitz ums Leben brachten.

Da kreuzen sich die Verbindungslinien, und das Liebliche haust neben dem Schrecken. Fast ist es schon wieder zuviel geworden, was die Stiftung akkumuliert hat. Wer zählt allein die Häupter! Podien diskutieren, ein Chor singt schräge Lieder, Typografen und —gräfinnen von unsrer Kunsthochschule haben Plakate entworfen (zu sehen in der Kunsthalle) , und am 6.2. macht gar die eingeborene Szene ein Spektakel mit Chansons und Texten und, sage und schreibe, Lyrik-Videoclips. schak

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