Um dem Alltag nicht zu entrücken

■ Das KommRum in der Schnackenburgstraße ist seit zwölf Jahren Kommunikationstätte für Menschen mit »Psychiatrie-Karriere«/ Begegnung zwischen Normalen und Verrückten

Friedenau. Ein alter Mann rührt in seinem Kaffee und starrt aus dem Fenster. Sein Blick, offensichtlich gewöhnt an das, was er sieht, schweift ruhelos durch den Raum. Abwechselnd nimmt er einen Schluck und zuckt dabei mit dem Kopf, als würde der ihm nicht gehorchen wollen. Schon oft hat er hier gesessen, an diesem Tisch in seinem Lieblingscafé, und es scheint, als kenne er jeden Zweig da draußen an den Bäumen vor dem Fenster, als wäre er irgendwann mal hier angekommen und nie wieder weggegangen — nach einer langen Reise endlich zu Hause.

Ein »Zuhause« — das scheint es für die meisten seiner Gäste zu sein, das KommRum in der Schnackenburgstraße. Was auf den ersten Blick wie ein normaler Cafébetrieb aussieht, ist Teil eines alternativen Projektes in Friedenau. Der Name KommRum steht nicht nur für Kommunikationszentrum, sondern ist gleichzeitig als freundlicher Aufruf einer Einladung gedacht.

Das Café, Mittelpunkt des Projektes, ist in erster Linie Anlaufstelle für Menschen, die am Rande einer »funktionierenden« Gesellschaft stehen, für Menschen mit »Psychiatriekarriere«, die dem Alltag einer Welt entfliehen, der sie nicht gewachsen sind. Gleichzeitig ist es auch einfach nur eine Kommunikationsstätte, ein Platz der Begegnung zwischen »Normalen« und »Verrückten«.

Noch vor zwölf Jahren war das ganze Projekt nichts als eine verrückte Idee, ein Hirngespinst von jungen TherapeutInnen und StudentInnen der Psychologie und anderer Fachrichtungen. Der Traum von einem »anderen Alltag mit Verrückten«, von einem Kommunikationszentrum mit psychologischer Beratung, ohne die Einmischung von Experten und frei von hierarchischen Strukturen.

»Mir ist bisher der Aufenthalt in der Psychiatrie erspart geblieben, ich bin kein Betroffener, aber ich suche einen Platz zwischen der rein professionell versorgenden Welt der Institutionen und der Selbsthilfegruppen.« So sagte damals Hans Luger, einer der Gründungsmütter und -väter, der heute als Psychotherapeut und auch als »Wirt« im KommRum arbeitet. Anfang der achtziger Jahre war das Café noch ein »düsterer, schmutzig grün gestrichener Gewerberaum« und der Rest ein »renovierbedürftiges Fabrikgebäude«, wie es Hans Luger in seinem Buch KommRum — Der andere Alltag mit Verrückten beschreibt. Doch durch Eigeninitiative und persönlichen Arbeitseinsatz der zukünftigen TherapeutInnen entstand ein halbes Jahr später ein beziehbares Haus. Große finanzielle Unterstützung hatten sie nicht — aber den Traum vom eigenen Projekt. Im Februar 1980 wurde das Café eröffnet und das Fabrikgebäude bezogen.

Die BesucherInnen des Cafés, vorwiegend Stammgäste, kommen aus ganz unterschiedlichen Motiven. Die meisten haben noch keine Erfahrung mit institutionalisierter Psychiatrie gemacht und fühlen sich durch die unhierarchische Arbeitsweise der TherapeutInnen einfach ermutigt, über ihre Ängste und Probleme zu reden. »Besonders faszinierend finde ich die Arbeit mit älteren Menschen. Da braucht man Fingerspitzengefühl«, sagt Gabrielle Maffli. Sie will Pfarrerin werden und absolviert im KommRum ein einjähriges Praktikum. »Für mich hat die Arbeit im KommRum viel mit meinem zukünftigen Beruf zu tun, weil es hier hauptsächlich um den Glauben an den Menschen geht.«

Viele Menschen, die hier Kontakt aufnehmen, befinden sich in einer akuten Krisensituation und kommen mit Fragen nach Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten, andere wiederum kommen einfach nur »mal rum«, auf einen Kaffee oder, um das vielseitige Angebot der kulturellen Veranstaltungen zu nutzen. Neben verschiedenartigen Gesprächskreisen können Kreative in Mal-, Foto- oder Töpferkursen zeigen, was sie können, oder einfach nur tun, was ihnen Spaß macht.

Das Angebot der Selbsthilfegruppen erstreckt sich über ein breites Spektrum. Von Aikido und Astrologie, über Bauchtanz und Theater bis hin zu Yogakursen. Die TeilnehmerInnen entwickeln ihre Programme selbst und versuchen, ohne LehrerInnen und »Aufsichtspersonal«, gemeinsame Probleme zu bewältigen — Selbsterfahrung mit Hilfe anderer Betroffener. Die MitarbeiterInnen des Projektes geben lediglich Anstöße und Starthilfen.

»Zu uns kann jeder kommen«, sagt Projektmitarbeiterin Heidrun Pahl. »Leute aller Altersgruppen und sozialen Schichten treffen sich hier und finden gemeinsame Themen. Die Leute, die hierher kommen, sollen erleben, daß sie durch die Erfahrungen mit ihren Mitmenschen dazu in der Lage sind, sich selbst zu helfen«, führt Pahl aus.

Der Bereich »Psychotherapie und Beratung«, Kernbereich des Projektes, umfaßt ein Arbeitsspektrum von Einzel-, Paar-, Familien- und Gruppenpsychotherapien, psychologischer Beratung und Fortbildung. Jeden Mittwoch findet eine kostenlose psychologische Beratung statt. Schwierigkeiten gibt es immer wieder bei der Finanzierung, besonders bei Therapien, die von den Krankenkassen nicht finanziert werden. Jeder Therapeut steckt ein Drittel seiner Einnahmen ins Projekt und beteiligt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten auch an sonstig anfallenden Arbeiten. Etwa die Hälfte aller KlientInnen trägt die Kosten für psychologische Beratungen selbst.

Ein weiterer Bereich des Projektes ist »Betreutes Wohnen«, denn gerade Wohnen hat nach Ansicht der ProjektmitarbeiterInnen sehr viel mit Menschenwürde zu tun. Dieses Angebot steht vor allem im Vordergrund für Menschen, die entweder gerade einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik hinter sich haben, oder aufgrund einer seelischen Notlage sozialtherapeutische Unterstützung brauchen. Zur Zeit werden drei therapeutische Wohngemeinschaften mit insgesamt vierzehn Wohnplätzen und zehn Einzelwohnungen betreut.

Im September vergangenen Jahres ist ein weiterer »Traum vom anderen Alltag mit Verrückten« wahr geworden. Mit dem von Hans Luger initiierten Projekt »Land in Sicht« ist eine Art »Land-KommRum« rund 120 Kilometer nördlich von Berlin entstanden. Das zum größten Teil zerstörte Gelände soll unter anderem Platz bieten für neue Beratungsstellen und Gruppenangebote, für einen Ökoladen, einer Biogärtnerei sowie für zehn bis fünfzehn bisherige PatientInnen von Großkliniken aus dem Kreis Prenzlau. Ein Großteil des Geländes wurde mit Hilfe von Darlehen von Vereinsmitgliedern gekauft. Das zuständige Ministerium in Potsdam steht dem Projekt zwar aufgeschlossen gegenüber, verfügt jedoch nicht über die benötigte Summe von rund sieben Millionen Mark.

Wie das Café in Friedenau wird sicher auch das neue Projekt vielen Betroffenen ein Zuhause sein und eine Einladung an Menschen, die sonst nicht gern gesehen sind. Ulrike Wojcieszak

Öffnungszeiten des Cafés: di.-sa. 16-22 Uhr, so. 11-15 Uhr