Modelle in Zwangsjacken

■ Krzysztof Gieraltowski: Porträtfotografie in der ifa-Galerie Friedrichstraße (Institut für Auslandsbeziehungen)

Ein polnischer Theaterregisseur mit einer Zeitung über seinem Kopf, die nur ein Auge freigibt; das Porträt eines Malers, nur Bart, Nase und zwei Stücke zerbrochenen Glases über den Augen; ein Theaterwissenschaftler mit einer um den Kopf gewickelten, schwarz eingefärbten Verbandsbinde; von einem Schriftsteller nur der verschwommene Eindruck von Kopf und Händen hinter einer Milchglasscheibe; von einem Rüstungsexperten nur die, in die Hände gestützte, zerfurchte Stirn...

Der polnische Porträtfotograf Krzysztof Gieraltowski, Jahrgang 1938, schmeichelt keineswegs der Eitelkeit seiner prominenten Landsleute, die ihm als Modelle dienen. Oft sind die gar nicht oder kaum wiederzuerkennen. Die Geste, die Aktion oder die Haltung unter der Drapierung steht für die Person des Porträtierten ein. Gieraltowskis Bildnisfotografien sind inszenierte Fotos. Dabei gleicht die Inszenierung oft einer Versuchsanordnung, in der die Modelle ihre Persönlichkeit entlarven und ihre Individualität decouvrieren. Der abkonterfeite Mensch muß sich zu den Zumutungen irgendwie verhalten, die Gieraltowski ihm aufzwingt.

Das Modell wird schon mal im wahrsten Sinne des Wortes in eine Zwangsjacke gesteckt. Eine Stunde mußte der Balladensänger Przemyslaw Gintrowski in einer solchen schwarzgefärbten Zwangsjacke ausharren. Gieraltowski gab ihn nicht eher frei. Dann, als er schreiend die noch in den flatternden Enden der Jacke steckenden Arme hochreißt, da machte Gieraltowskis Kamera mit dem sicheren Gespür für das Typische ihr Bild.

Das, was Gieraltowski hier treibt, ist ein sehr subjektives Spiel. Er fühlt sich zur inneren Wahrheit verpflichtet. »Wie fotografiert man die innere Spannung eines Menschen?« fragt Gieraltowski. Die Gestaltung von Situation und Bildkomposition reicht ihm allein nicht, den Rest macht die Ausstrahlung des Modells aus. Dafür braucht Gieraltowski den »Zweikampf« mit seinem Gegenüber. Der Mensch wird seiner inneren Verfassung nach, ja beinahe existentiell, gefordert. Die Art, wie das Modell auf den Akt des Fotografiertwerdens reagiert, ist der Moment der Wahrheit. Gieraltowski zeigt, daß das fotografische Bildnis mehr sein kann als die Abbildung einer beliebigen Physiognomie. Gieraltowski fotografiert nur Personen, die er selbst interessant findet: auf einer Liste hat er sie versammelt. Angefangen hat er 1976 mit polnischen Autoritäten, die für ihn die Geschichte der Nation repräsentieren. Mittlerweile ist dadurch eine Galerie der Elite, der Künstler, Literaten und Gelehrten seines Landes entstanden.

Der Stil der Aufnahmen entstand wie nebenbei. Herb und spröde sind die großen Abzüge mit ihrem extrem harten Schwarz/Weiß-Kontrast, wobei das Schwarz in der Regel dominiert. Dabei sind es oftmals die hellen Spitzenlichter, die die Akzente setzen und Spannung im Bild erzeugen. Auf dem eng beschnittenen Porträt der Schauspielerin Nina Andrycz beispielsweise liegt nur ihr Auge im Licht, nur der Glanz auf der in die Ferne gerichteten Pupille zeichnet diesen Charakter in einer Mischung von Erwartung und Sehnsucht. Gieraltowski ist in der Lichtführung Meister und Perfektionist. Beinahe endlos mußte zum Beispiel der Schriftsteller Jerzy Kosinski hinter einer sonnenbeschienenen Bretterwand seinen Kopf vor- und zurückbewegen, um dem Lichtstreifen auf seinem Gesicht die richtige Gestalt zu geben.

Seit fünfzehn Jahren fotografiert Gieraltowski im gleichen Stil. Da wundert es nicht, wenn er zugibt, er fälsche auch die Daten seiner Aufnahmen. Es ist ihm nicht wichtig. »Ich bin ja immer noch der gleiche Mensch«, meint Gieraltowski. Wichtig ist ihm das Treffen mit anderen Menschen. Ronald Berg

Die Porträts von Krzysztof Gieraltowski sind noch bis 9. Februar in der ifa-Galerie Friedrichstraße zu sehen.