Die erste Hürde: Niemand glaubt dem Kind

■ Hearing vor dem Gesundheitsausschuß über sexuellen Mißbrauch/ Projekte befürworten das Modell der »Go-Order«

Charlottenburg. »Der Täter gehört aus der Familie genommen, nicht das geschädigte Kind.« Dies bekräftigten übereinstimmend Vertreterinnen der beiden Vereine »Wildwasser« und »Kind im Zentrum« sowie Beauftragte vom Jugend- und Gesundheitsamt am vergangenen Freitag vor dem Gesundheitsausschuß.

Dort wurde nun in Form eines Hearings fortgesetzt, was vor gut einem Jahr unter dem Aspekt »gesundheitliche Versorgung des Charlottenburger Kiez« begonnen hatte: die Beschäftigung mit sexuellem Mißbrauch an Kindern und Jugendlichen aus gesundheitspolitischer Perspektive. Deprimierender Konsens herrschte in allen von den Frauen angesprochenen Bereichen. Ob es um das große Informationsdefizit in professionellen Kreisen wie Lehrer, Erzieher, Ärzte und Richter ging oder um die dringende Bitte nach mehr finanziellen Mitteln, um die nötige Hilfe auch tatsächlich leisten zu können. So wissen Wildwasser und Kind im Zentrum jeweils erst am Jahresende, wieviel Gelder ihnen im laufenden Jahr vom Senat zur Verfügung gestanden hätten.

Eine recht unsichere Situation. Zudem sind die Geld- und Sachmittel auf den Stand von 1990 eingefroren worden, »alles andere wird aber stetig teurer«, wie Siegrid Richter-Unger von Kind im Zentrum beklagt. »Wir wissen zum Beispiel auch nicht, wovon wir die Mieterhöhung bezahlen sollen, die uns Ende des Jahres erwartet.«

Zentraler Diskussionspunkt des Hearings aber waren nicht die mangelnden Finanzen, sondern die Stellung des mißbrauchten Kindes in rechtlicher und sozialer Hinsicht. Und die ist miserabel.

Christiane Helmig vom Jugendamt weiß aus Erfahrung, daß dem betroffenen Kind oder Jugendlichen, zunächst jedenfalls, keiner glaubt. »Niemand aus der Familie oder dem näheren Umfeld will das Unglaubliche wahrhaben.« Wird schließlich doch Anzeige gegen den Täter, zumeist Väter, Stiefväter, Onkel oder Brüder, erstattet, steht häufig die Begutachtung auf Glaubwürdigkeit durch einen Sachverständigen bevor.

Dietke Jirku von Wildwasser kennt die zusätzliche Belastung des Opfers, die ein Sich-Wehren mit sich bringt: »Die bevorstehende Begutachtung ruft natürlich bei den betroffenen Mädchen und Jungs noch einmal mehr Angst hervor, daß ihnen wieder nicht geglaubt wird«.

Einhellig befürworteten die Frauen, daß das Modell der sogenannten »Go-Order« zu unterstützen sei. Sie besagt, daß die Mißbraucher aus der Familie herausgenommen werden sollten und nicht die Opfer. Denn: Werden die Kinder aus ihrem Nahbereich herausgelöst, empfinden sie dies als Strafe. An einem entsprechenden Gesetzesentwurf wird bereits gearbeitet. Problematisch ist allerdings die Versorgung der Männer. Für die auch hier bitter benötigten Therapie- und Wohnplätze sind natürlich wie im Falle der Mißbrauchten keine Gelder vorhanden. Sonja Striegel