Allein zwischen Staat, Drogenkartell und Eta

Der unbeirrbare Untersuchungsrichter Baltasar Garzon macht sich bei Spaniens Regierung und Prominenz unbeliebt  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Als Baltasar Garzon Anfang 1988 zum Untersuchungsrichter am Nationalen Gerichtshof in Madrid bestellt wurde, konnte sich niemand vorstellen, daß der 33jährige binnen weniger Monate zum bekanntesten Richter Spaniens aufsteigen würde. Der Sohn eines andalusischen Bauern hatte eine unauffällige Karriere hinter sich: Schule und Studium in Andalusien, danach Richter an mehreren Orten Spaniens, Heirat, zwei Kinder. Obwohl einer rebellischen Generation zugehörig, soll er nie einer politischen Organisation angehört haben noch sonstwie aufgefallen sein.

An seinem neuen Posten bekam er alsbald ein Untersuchungsverfahren zugeteilt, das seit geraumer Zeit vor sich hin schmorte: Es waren die Untersuchungen gegen die beiden Polizeioffiziere Jose Amedo und Michel Dominguez, verdächtigt, zwischen 1983 und 1986 den „schmutzigen Krieg“ gegen die Eta in Südfrankreich geleitet zu haben, der mehr als dreißig Menschen das Leben gekostet hatte. Im Juli 1988, fünf Monate nach seiner Amtsübernahme, ließ Garzon die erste Bombe platzen und brachte die beiden Verdächtigen, die bis dahin ihren Dienst unbehelligt fortgeführt hatten, in Untersuchungshaft. Trotz der Obstruktionsversuche der sozialistischen Regierung und Vertuschungen seitens der Polizei leitete Garzon umfangreiche Ermittlungen ein, die im Sommer 1991 schließlich zur Eröffnung eines Prozesses gegen die beiden Polizisten führten. Die Anklage lautete auf mehrfachen Mordversuch, Gründung einer bewaffneten Bande, Dokumentenfälschung und unerlaubten Sprengstoffbesitz. Das Innenministerium versuchte durch Aussageverbote für Beamte und vor allem durch die Geheimhaltung des Sonderfonds, aus dem die angeheuerten Killer vermutlich bezahlt worden waren, den Schaden zu begrenzen. Aufgrund der Ermittlungen der des Richters Garzon lautete das Urteil: Mehr als 100 Jahre Haft für jeden.

Während seiner Ermittlungen im „Fall Amedo“ war Garzon jedoch auch anderweitig tätig — neuerlich zum geringen Vergnügen der Regierung. Während einer Großrazzia in Galizien und Madrid wurden im Sommer 1990 mehrere Chefs des spanischen Drogenhandels und der Geldwäsche festgenommen, die mit dem kolumbianischen Medellin- Kartell zusammengearbeitet hatten. Kurz darauf wurde Oberst Arsenio Ayuso, seit zwölf Jahren Chef der Drogenbekämpfung der Guardia Civil, „aus Altersgründen“ entlassen. Ayuso hatte sich einen Monat vor der Großrazzia insgeheim mit dem obersten galizischen Drogenchef in Lissabon getroffen, der dann — oh Wunder — bei der Razzia nicht aufgegriffen wurde. Zur gleichen Zeit lud Garzon den Generaldirektor der Polizei, Jose Maria Colorado, zur Vernehmung. Colorado hatte am Tag vor der Großrazzia einem Sportjournalisten vertraulich erklärt, ein enger Freund von Garcia habe ein „großes Problem wegen Drogenhandels“. Der Journalist schaltete nicht schnell genug: Bei der Großrazzia wurde am folgenden Tag sein Freund Carlos Goyanes, Unternehmer und Mitglied des spanischen Jet-Set, festgenommen. Ein weiteres Objekt der Untersuchungen des Richters Garzon in Drogenfragen wurde der Unternehmer Enrique Sarasola, enger Freund des Premierministers Felipe Gonzalez und der Sozialistischen Partei PSOE sehr nahestehend.

Als im Herbst 1989 der baskische Abgeordnete Josu Muguruza ermordet wurde, übernahm Garzon die Untersuchungen. Sie führten zu Rechtsextremisten und verbündeten Polizisten. Doch nicht nur gegen die staatlichen Bermudadreiecke wurde der Richter aktiv: Mehrfach reiste er nach Frankreich, um dort inhaftierte Eta-Mitglieder zu verhören, und leitete die Untersuchungen zu einem der blutigsten Attentate der bewaffneten Organisation.

Baltasar Garzon ist einer der sehr seltenen Richter in Spanien, der sich hartnäckig in unbequeme Fälle stürzt und sich auch von Anfeindungen aus hohen Regierungskreisen nicht beeinträchtigen läßt. Oft eine Sisyphos- Arbeit für Garcon: Amedo und Dominguez landeten im Knast, doch bereits drei Monate nach dem Urteil erhielten sie „aus Gesundheitsgründen“ Ausgang. Carlos Goyanes, Jet- Set-Unternehmer mit angeblichen Kokain-Connections, wurde fünf Monate nach seiner Inhaftierung auf freien Fuß gesetzt. Und Rodriguez Colorado, der Polizeichef, übt weiter seinen Dienst aus.

Die Reaktionen auf den Richter sind — je nach Interessenlage — entgegengesetzt. Die liberale Presse hat Garcon zu einem Robin Hood hochstilisiert, linke Anwälte rühmen seinen Einsatz. Bei den Verleihungen öffentlicher Auszeichnungen pflegt der mutige Jurist dagegen leer auszugehen — er verfolge Staatsdiener mehr als Eta-Terroristen, lautet die Begründung.

Baltasar Garzon hatte unterdessen Zeit, wegen Geldwäscherei ein Ermittlungsverfahren gegen die Schwester der ehemaligen Ehefrau des argentinischen Präsidenten Carlos Menem, Amira Yoma, und ihren Ehemann einzuleiten und das neue Gesetz zur inneren Sicherheit, das die Regierung erarbeitet hat, wegen seiner Repressivität scharf zu kritisieren. Ermüdungserscheinungen: bislang keine.