INTERVIEW
: „Diese Justiz kann kein Vorbild sein“

■ Rechtsanwalt Heinrich Hannover sieht keinen Anlaß, den bundesdeutschen Rechtsstaat zu verteidigen

taz: Die Linke, speziell in der Bundesrepublik, hat traditionell ein sehr kritisches Verhältnis zur Justiz.In den letzten Jahren hat es jedoch in verschiedenen Bereichen — Umwelt oder auch bürgerliche Freiheiten etwa — immer wieder Richter gegeben, deren Rechtsprechung für die Herrschenden unbequem war. Ausdruck eines Wandels in der Richterschaft oder die Ausnahme?

Heinrich Hannover: Ich kann keine Statistik über die Anzahl unbequemer Richter machen, die es in der Bundesrepublik gibt. Ich kann nur sagen, die politische Justiz ist nach wie vor eine Justiz, die auf Seiten der Staatsgewalt steht und bei der Linke nichts zu lachen haben.

Eines der Hauptprobleme der deutschen Justiz war immer, daß sie durchsetzt war mit den alten Nazirichtern. Hat sich da etwas verändert?

Die alten Nazirichter sind ausgestorben oder pensioniert, nur ihr Geist hat sich fortgepflanzt, und ich fürchte, wir werden noch lange an dieser Tradition zu tragen haben. Was heißt übrigens Nazirichter: Es waren natürlich auch Richter dabei, die in ihrer Tradition weiter zurückreichten. Die kaiserlichen Richter, die sind ja auch nahtlos in die Weimarer Republik übergegangen. Es waren durchaus nicht alles Nazis, die nie von ihrem traditionellen Antikommunismus losgekommen sind und von daher Links und Rechts mit verschiedenem Maß gemessen haben. Diese unterschiedliche Einstellung ist tradiert worden bis in unsere Tage.

Beziehen Sie sich damit auch auf die Entlassung von DDR-Richtern?

Damit beziehe ich mich zunächst auf die Justiz der Bundesrepublik, die mir vertraut ist. In der DDR hat sich ja eine Klassenjustiz mit umgekehrten Vorzeichen etabliert. Das ist ein sehr heikles Thema. Man müßte da wohl von Fall zu Fall differenzieren, wie sich die Richter dort verhalten haben. Ich glaube nicht, daß da eine generelle Einschätzung möglich ist.

Die bundesdeutsche Linke ist traditionell nicht nur gegen die einzelnen Richter mißtrauisch, sondern auch gegenüber dem hiesigen Rechtsstaat, der bürgerliche Interessen verteidigt. In den Ländern des ehemaligen Realsozialismus hingegen ist dieser Rechtsstaat inzwischen ein schon fast mystischer Wert. Was ist für Sie an diesem Rechtsstaat zu verteidigen beziehungsweise wäre er für diese Länder eine Verbesserung?

Es ist sicher richtig, daß das Justizsystem der Staaten, die im sozialistischen Machtbereich standen, verbesserungsbedürftig ist. Der Tiefpunkt von sogenannter Justiz waren sicher die stalinistischen Prozesse gegen politische Abweichler, und ich verstehe daher, daß man von dorther auf die sogenannte rechtsstaatliche Justiz der Industriestaaten sieht. Aber von nahem besehen kann diese Justiz kaum ein Vorbild sein. Denn diese Justiz hat, nur mit umgekehrten Vorzeichen, genauso einseitig judiziert. Sie hat Links und Rechts vertauscht, und man kann nicht etwa sagen, daß hier eine Justiz im politischen Bereich geübt worden sei, die sich als rechtsstaatlich bezeichnen darf.Man hat hier getreu dem Carl-Schmittschen Denken zwischen Freunden und Feinden unterschieden. Menschen, die sich als Freunde der Staatsgewalt darstellten, sind milde oder gar nicht bestraft worden — ich denke etwa an die neue Kronzeugenregelung oder an die Verfahren gegen Naziverbrecher. Während Leute, die zum Feind erklärt worden waren, vor der Justiz keine Chance hatten, ganz egal wie die Rechts- und Beweislage sich darstellte — ich denke an die Demonstrantenprozesse der sechziger und siebziger Jahre und nicht zuletzt an die Terroristenprozesse.

In welcher Weise könnte sich Justiz positiv entwickeln in Ländern wie etwa der aufgelösten Sowjetunion?

Als Strafverteidiger bin ich nur für den Komplex der Strafjustiz kompetent, ich kann jetzt keine Aussage darüber machen, ob Justiz insgesamt für die Länder der Sowjetunion eine hilfreiche Funktion haben könnte. Strafrecht ist jedenfalls eine Erfindung, die in unserer Zeit schlicht abschaffungswürdig ist. Sowohl im Osten als auch im Westen.

Interview: Antje Bauer