Brotkrümchen

■ Wirkt Joachim Fest als Honorarprofessor in Heidelberg?

Daß es sich bei Honorarprofessoren um eine Untergattung der Spezies „Professor“ handelt, scheint gewiß; da sich ihre Vertreter aber zumeist sehr unischeu verhalten, sind der Erforschung ihrer Lehrgewohnheiten enge Grenzen gesetzt. In der Regel sollten sie älter als sechzig Jahre alt sein, honorig wirken, aber kein Honorar empfangen und lediglich ehrenhalber wie ein Spuk in den Namensverzeichnissen der Fakultäten auftauchen. In ihren eigentlichen Berufen bei Zeitungen, in der Industrie und anderswo haben sie das Rentenalter erreicht, ihre neue Tätigkeit üben sie noch nicht aus. Der Grund hierfür, das belegen neuere Forschungsergebnisse, liegt in zeitaufwendigen Nebenjobs in Aufsichtsratsgremien, Gesellschaften und Vereinen, und es soll auch vorkommen, daß die Hahnenkämpfe im öffentlich- rechtlichen Literaturgegacker zu vereinnahmend sind — wie im Falle Marcel Reich-Ranickis, sehr zum Leidwesen der Uni Tübingen.

Was also ist ein Honorarprofessor? Etwa nur eine Einbildung, die ihre Bildung durch einen Ehrentitel bestätigt sehen will, oder eine tatsächliche Erscheinung, wie man derzeit in an der neuphilologischen Fakultät in Heidelberg im Fall Joachim Fest hofft? Schon der Name des FAZ-Mitherausgebers signalisiert felsenfeste Entschlossenheit — aber auch seine Pensionierung rückt bedrohlich nahe. Kannte man den Mann bisher, mit Blick auf seine Publikationen, als Historiker, so vollzieht sich nun ein Evolutionssprung von der Publizistik in die Alma Mater, bei gleichzeitiger Wandlung vom Historiker zum Literaturprofessor mit der Aufgabe, den Studierenden das Verhältnis von „Literatur und Öffentlichkeit“ nahezubringen.

Prompt sprachen sich einige ordentliche Professoren der neuphilologischen Fakultät zu Heidelberg mit der Begründung gegen Joachim Fest aus, selbst sein Ruf als Historiker sei umstritten — womit sie wohl nicht nur seine Hitler-Biographie meinten. Joachim Fest hatte Mitte der 80er Jahre ein trauriges Kapitel deutscher Publizistik eingeläutet und zusammen mit den Historikern Michael Stürmer, Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand den inzwischen traurig-legendären „Historikerstreit“ im 'FAZ‘-Feuilleton entfacht, der mit der Einordnung der Nazi-Greuel als Geschichtsunfall deutsche Geschichte entlasten sollte. Daß sich die konservativen Geschichtsentsorger mehr oder weniger blamierten, hat sie nicht entmutigt, wie ein Artikel von Joachim Fest kurz nach dem Fall der Mauer zeigt. Darin vertritt er die kühne These, die Implosion der DDR habe sich ohne Beteiligung Intellektueller ereignet und sei ohne historisches Vorbild im Gegensatz zur (man höre und staune) „nationalsozialistischen Machtergreifung, die als Revolution eigenen Zuschnitts ohne eine Ahnenreihe mit bemerkenswerten Namen kaum zu denken ist, auch wenn ihr der Traktatenschund völkischer Pseudopropheten die weit grelleren Umrisse verschafft hat.“

Daß Joachim Fest sich offenkundig nicht scheut, Sätze zu formulieren, die auch als Rechtfertigung der nationalsozialistischen Machtergreifung gelesen werden können, scheint seine Heidelberger Befürworter nicht zu irritieren. Treibende Kraft ist Germanistikprofessor Dieter Borchmeyer, derzeit Dekan der neuphilologischen Fakultät und dem Leser des 'FAZ‘-Feuilletons nicht unbekannt. Für ihn gilt: „Joachim Fest hat zwar kein abgeschlossenes Studium, aber das ist für eine Berufung zum Honorarprofessor auch nicht Voraussetzung. Uns war wichtig, daß er eine Persönlichkeit mit Ausstrahlung weit über den Bereich der Publizistik hinaus ist.“ Auch der Dekan hofft noch, der Auserwählte werde erscheinen, obwohl alle Honoris-causa-Forscher skeptisch sind. Denn der Noch-Herausgeber widmet sich seit neuestem wieder der Intellektuellenhatz und Denunzierung utopischer Geschichtspotentiale — emsig wie eine Ameise, der dennoch manch wichtiges Brotkrümchen entgeht. Etwa, daß er über die Auflösung des Ost-West-Gegensatzes und den Zusammenfall Deutschlands nie hätte schreiben können ohne Gorbatschows Utopie eines reformierbaren Sozialismus.

Eine weitere Fußnote der Geschichte. Die Dolf- Sternberger-Gesellschaft vergibt seit neuestem einen Preis für „öffentliche Rede“, der Anfang Februar zum ersten Mal in Heidelberg verliehen wird. Preisträger ist Willy Brandt, der mit seinem Kniefall im Warschauer Ghetto zum konkreten Utopisten inmitten des Kalten Krieges wurde. Daß Joachim Fest die Laudatio hält, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen (er sitzt übrigens auch im Preisgremium der Gesellschaft) — und auch, daß Willy Brandts Memoiren im selben Verlag erscheinen, in dem Ex-Republikanerchef Franz Schönhuber publiziert. Wäre da nicht Inge Meysel, die „Mutter der Nation“, die eine Herausgabe ihrer Memoiren in diesem Verlag ablehnte — der Zweifel an der Möglichkeit utopischer Potentiale in der Moderne würde tatsächlich überhand nehmen. Jürgen Berger