DEBATTE
: Deutsche Außenpolitik im Regen

■ Die Instrumentalisierung der Geschichte des Balkans bringt nicht weiter

Es ist schon verwunderlich, wie schwer es sich die Europäer und die USA bisher gemacht haben, die Realitäten im ehemaligen Jugoslawien anzuerkennen. Und es ist noch verwunderlicher, daß sich am Konflikt um die Anerkennung Kroatiens und Sloweniens Diskussionen und Koalitionen entwickelten, die schon längst in Vergessenheit geraten schienen. Wenn in Ex-Jugoslawien selbst Kroaten, Slowenen, Muslimanen, Albaner und Mazedonier gegen Serben und Montenegriner stehen, dann unterscheidet sich die heutige Koalition von der des Zweiten Weltkriegs nur insofern, als damals in allen Völkern auch eine für den gemeinsamen Staat kämpfende kommunistische Partisanenbewegung aktiv war. Damals waren das Großdeutsche Reich und Italien Besatzungsmächte, die sich der faschistischen Kräfte Kroatiens, Sloweniens, der Muslimanen und anderer Volksgruppen bedienten, um in einem Kampf, der die Züge eines Vernichtungsfeldzuges trug, gegen Juden, Roma und serbische Bevölkerung, gegen Kommunisten und serbische königstreue Tschetniks vorzugehen (letztere koalierten zeitweise jedoch auch mit Mussolinis Truppen). Auf der anderen Seite unterstützten die Alliierten zunächst die serbischen Tschetniks, später die kommunistischen Partisanen, die wiederum ihre eigenen Blutspuren hinterließen.

Der Clou der Anerkennungsdiskussion ist die scheinbare Wiederauferstehung alter Konstellationen. Kein Wunder also, wenn die serbische Propaganda versucht, mit dem Schreckgespenst der Koalition von kroatischem „Ustaschastaat“ und dem „Vierten Reich“ nicht nur die eigenen, kriegsunwilligen Soldaten zu mobilisieren, sondern auch einen Keil zwischen die Westmächte und Deutschland zu treiben. Denn bei den kommenden Verhandlungen über die von Serbien beanspruchten Gebiete in Kroatien braucht die serbische Regierung Sympathien im Westen.

Der Vorwurf an Deutschland verrät mehr über das Denken serbischer Nationalisten als über die heutige Realität. Handelte es sich noch im Zweiten Weltkrieg um die Fortsetzung des Kampfes des zu spät gekommenen deutschen Imperialismus, um Einflußsphären, so ist heute das auf dem Weltmarkt operierende (west-)deutsche Kapital keineswegs darauf angewiesen, direkte Einflußsphären zu sichern. Selbst das Beispiel der Ex-DDR weist angesichts der Kosten eher auf das Gegenteil hin. Andererseits entspricht es den Denkformen vieler aus dem Stalinismus entlassener Gesellschaften im heutigen Osteuropa und auch in den Republiken Ex-Jugoslawiens, die eigene, von wirtschaftlichem Niedergang und Sinnkrise geprägte Wirklichkeit mit Großreichträumen zu verklären. Psychologen können durchaus der These zustimmen, daß die Projektion des eigenen Denkens auf andere keines der eigenen Probleme löst. Dies heißt jedoch nicht, daß die Vorwürfe gegenüber Deutschland in den westlichen Ländern Frankreich, Großbritannien und den USA ohne Wirkung sind. Sie wären vielleicht sogar noch größer, hätte der serbische Präsident Milosevic nach dem Versprechen der Anerkennung Kroatiens durch Deutschland am 16. Dezember eben diesem Deutschland den Krieg erklärt. Doch diese Chance hat er glücklicherweise verpaßt.

In der innenpolitischen Auseinandersetzung regt sich erst jetzt etwas, nachdem die deutsche Außenpolitik mit der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens sich auf unsicheres Terrain begeben hat. Selbst die Tatsache, daß kaum 500 Kilometer von München entfernt über 600.000 Kroaten unter furchtbaren Begleitumständen ihre Dörfer und Städte verlassen mußten, hat die selbstgefällige Lethargie nicht vertreiben können. Kaum jemand hatte sich vor dem 15. Waffenstillstand die Frage gestellt, was zu tun sei, wenn Millionen fliehen müßten. Es ist durchaus nicht verwegen zu behaupten, daß erst mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch Deutschland etwas in positivem Sinne in Bewegung kam. Daß die serbische Regierung schließlich selbst vorschlug, UNO-Truppen in die umkämpften Gebiete zuzulassen, zeigt auf, daß auch ihr bewußt war, daß der Bogen nicht überspannt werden sollte.

Vor der Instrumentalisierung der Geschichte zum Zwecke der innenpolitischen Auseinandersetzung sei deshalb gewarnt. Sie würde der lebendigen Realität des Konfliktes nicht entsprechen. Kroatien ist kein Ustascha-Staat und die Bundesrepublik nicht das Vierte Reich. Es sei darauf hingewiesen, daß die Hilferufe aus Slowenien und Kroatien im letzten Sommer an ganz Europa gerichtet waren. Und es ist ja keinesfalls falsch, überhaupt darauf zu reagieren. Insbesondere in Slowenien hat man alles versucht, besondere Beziehungen zu Österreich und Deutschland zu vermeiden. Das Verhandlungsritual der EG mit seinen mehr als 14 vereinbarten Waffenstillständen hat aber nur dem Angreifer genützt, nicht jedoch den Verteidigern. Es fehlte wohl nicht an politischem Willen, jedoch an einer gemeinsamen Strategie, diesen regionalen Konflikt in den Griff zu bekommen. Aus unterschiedlichen Motiven hielten gerade die westeuropäischen Staaten Großbritannien, Frankreich, Spanien und Griechenland an der Hoffnung fest, den jugoslawischen Zentralstaat zu retten. Daraus ergaben sich zwangsläufig Übereinstimmungen mit der Politik jener überlebten Mächte, die von Belgrad aus sich gegen den Zerfall des Staates Jugoslawien stemmten.

Für die weitere Entwicklung, und dies meint vor allem die in Osteuropa sich abzeichnenden Konflikte, ist es immerhin wichtig, daß durch die Diskussion in bezug auf Kroatien und Slowenien wenigstens einige Kritierien für die diplomatische Anerkennung neuer Staaten entwickelt wurden, die auch für andere Regionen gelten sollten. So ist es durchaus positiv zu werten, daß Slowenien und Kroatien gezwungen wurden, die Rechte der Minderheiten zu gewährleisten, was in Kroatien noch vor wenigen Monaten keineswegs selbstverständlich war, den Aufbau demokratischer Institutionen zu betreiben und damit die eigene nationalistische Rhetorik zu relativieren. An dieser Elle gemessen, wurden folgerichtig Bosnien-Herzegowina und Mazedonien von der Anerkennung bisher ausgenommen. Daß Serbien unter Milosevic sich als Rechtsnachfolgerin des alten Jugoslawien installieren möchte, ist eine politische Strategie, die gerade vermeiden will, an diesem Kriterienkatalog gemessen zu werden. Die Entwicklung dieses Kriterienkatalogs wäre jedoch noch bedeutsamer, wenn ihr ein universaler Anspruch unterlegt würde. Es wäre sicherlich sinnvoll gewesen, auch die Anerkennung der Nachfolgestaaten der Sowjetunion von der Erfüllung dieser Auflagen abhängig zu machen. Für die schnelle Anerkennung der GUS-Staaten sprach lediglich, daß angesichts des Atomwaffenpotentials in der Ex-UdSSR die Verantwortlichkeiten unklar waren.

Die Kritiker der deutschen Außenpolitik sollten nicht den Fehler begehen, in die Falle der Reproduktion geschichtlicher Bilder zu laufen. Vielmehr kommt es darauf an, auf eine Weiterentwicklung der Instrumente und Institutionen zu blicken, die in bezug auf Konfliktregelungsmechanismen eingesetzt werden. Schon jetzt ist es offensichtlich, daß die zur Verfügung stehenden Instrumente der EG und auch der Vereinten Nationen nicht ausreichen, die Gefahr der Instrumentaliserung durch einzelne nationale Interessen zu vermeiden (man denke etwa an die Rolle der USA in der UNO während des Golfkriegs). Wer ernsthaft Lehren aus der Geschichte ziehen will, sollte bedenken, daß supranationale Institutionen ausschließlich nach demokratischen Kriterien zu funktionieren haben, nicht nach den Interessen einer Nation oder eines Bündnissystems. Mit dem Forderungskatalog der EG ist erst ein bescheidener Anfang in die richtige Richtung gemacht. Es kommt darauf an, entsprechende Institutionen zu entwickeln, die diesem Anspruch gerecht werden und denen gegenüber sich die nationalen Außenpolitiken zu unterwerfen haben. Folglich sollte sich die künftige Diskussion auch innenpolitisch nach vorne wenden, anstatt erneut alte Weltbilder zu reproduzieren. Erich Rathfelder