KGB-Mann als Zeuge gegen Alt-Nazi

Ex-KGB-Beamte als Zeugen vor Gericht/ „Weltpremiere“ im Münsteraner Kriegsverbrecherprozeß gegen 87jährigen Exil-Letten/ Geheimdienstler stützt Anklage gegen mutmaßlichen Massenmörder  ■ Aus Münster Walter Jakobs

Die Frage, die der Verteidiger des wegen Mordes und Beihilfe zum Mord angeklagten 87jährigen Boleslav Maikovskis im Münsteraner Landgericht stellt, gehört zur Standardfrage in deutschen Gerichtssälen. „Haben Sie von Ihrem Dienstherrn eine Aussagegenehmigung?“ Am Dienstag, dem 105. Verhandlungstag im Prozeß gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Maikovskis, der laut Anklage als eifriger Gehilfe den Terror der deutschen Wehrmacht- und SS-Truppen in Lettland unterstützt hat, löst diese Frage — trotz des grauenhaften Prozeßgegenstandes — zum erstenmal so etwas wie Heiterkeit aus. Der angesprochene Zeuge Valdemars Gotthards schaut den fragenden Rechtsanwalt Dirksmeier sichtlich irritiert an: „Von wem?“ Die Verwunderung des Zeugen kommt so unerwartet nicht, denn sein Dienstherr existiert nicht mehr. „Ja wissen Sie“, fährt der 62jährige Zeuge fort, „die geschichtlichen Umstände haben sich sehr geändert. Es gibt keinen Vorgesetzten mehr, den ich um eine Aussagegenehmigung hätte bitten können. Vielleicht können Sie mir ja weiterhelfen?“

Kann der Anwalt nicht, denn Gotthards früherer Arbeitgeber war der KGB — und den haben die Letten nach der Unabhängigkeit aufgelöst. Gotthard und zwei weitere ehemalige „KGB-Ermittler“ sind der Zeugenladung durch die 2. Strafkammer des Münsteraner Landgerichts aus freien Stücken gefolgt. So findet am Dienstag in Münster eine „Weltpremiere“ statt, wie der souveräne Kammervorsitzende Hanno Badewitz mit ein bißchen Stolz verkündet. Über zwei Jahre geht der Prozeß nun schon — und ein Ende ist immer noch nicht in Sicht. Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt die Umwälzungen in der Sowjetunion, die die bis dahin völlig undenkbare Ladung von „KGB-Ermittlern“ möglich machten. Für das Gericht in Münster sind die drei KGBler besonders wichtig, weil die gegen Maikovskis schon in den 60er Jahren umfangreich ermittelt und ihn 1965 im lettischen Riga angeklagt haben. Das zuständige Gericht verurteilte den nach Kriegsende geflüchteten früheren Polizeioffizier Maikovskis wegen Beteiligung an der Ermordung von Tausenden von Menschen 1965 in Abwesenheit zum Tode.

Für die Verteidigung war der Rigaer Prozeß „ein stalinistischer Schauprozeß“. Die dortige Anklage beruhte nach den Worten von Maikovskis „auf erstunkenen und erlogenen“ Zeugenaussagen, reine „Phantasieprodukte des KGB“. Ein mächtiges Wortgeklingel, zu dem schon die bisherigen Vernehmungen von Zeitzeugen durch das Münsteraner Gericht in Lettland selbst gar nicht passen wollten. Maikovskis, der 1942 dem 2. Polizeirevier in Rezekne vorstand, ist in Münster unter anderem angeklagt, an der Ausrottung aller Bewohner des Dorfes Audrini beteiligt gewesen zu sein. Auf Anordnung des deutschen Kommandanten der SS-Sicherheitspolizei wurden als Vergeltung für den Tod von drei Polizisten am 3./4. Januar 1942 61 Männer, 88 Frauen und 51 Kinder ermordet und das Dorf Audrini dem Erdboden gleichgemacht. Nach der noch nicht abgeschlossenen Befragung des Ex-KGB-Mannes Gotthards geht aus den Dokumenten und den Zeugenaussagen hervor, „daß Maikovskis das Erschießungskommando organisiert hat“ und für den Tod des 18jährigen Juden verantwortlich sei. Darüber hinaus sei der Angeklagte an der Erschießung unzähliger Juden beteiligt gewesen.