Engholm kommt nicht in die Strümpfe

Der SPD-Vorsitzende Björn Engholm erklärt sich immer noch nicht zur Kanzlerkandidatur/ Das Programm 2000 soll die SPD aus den Niederungen der Opposition holen — aber wann?  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Nein! Wieder erklärte Björn Engholm sich nicht zum künftigen Kanzlerkandidaten. Der Parteivorsitzende der SPD verschanzte sich hinter der neuen Formel, die nach der Präsidiumssitzung am Montag dieser Woche geboren wurde. Noch in diesem Monat wird Engholm den Parteigremien einen Verfahrensvorschlag machen, „wann und wie der Kanzlerkandidat und ein ihn begleitendes Team“ bestimmt werden soll. Der SPD-Chef und sein Vize Oskar Lafontaine stellten gestern in Bonn eine Arbeitsgruppe der Partei vor, deren Titel: „Deutschland 2000 — die SPD auf dem Weg in die Regierungsverantwortung“, hoffentlich keine unbeabsichtigte Programmatik enthüllt. Denn wohl erst im Jahr 2000 und nicht 1994 wird die SPD Helmut Kohl ablösen, wenn sie so weitermacht wie bisher.

Die Vorarbeiten zum Programm „Deutschland 2000“, mit dem sich die SPD in die nächste Bundestagswahl werfen und das alte Wahlprogramm „Fortschritt 90“ fortschreiben will, lassen jedenfalls noch wenig Konturen erkennen. Das klare „Kontrastprogramm zur Regierungspolitik von CDU/CSU und FDP“ gleicht vorerst mehr einer Wundertüte.

Fünf zentrale Punkte für eine „neue Phase der Reform“ in Deutschland stellte Björn Engholm vor, gleich dreizehn Punkte hat der schriftliche Grundriß für das neue Programm.

Die „neue Außenpolitik“, die Engholm wie SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose seit Jahresbeginn anmahnt, weil der Verfall im Osten nur mit der „Dimension des Verfalls des Römischen Reiches“ (Engholm) vergleichbar ist, bleibt, wenn nicht altbekannt, zunächst Postulat und ist noch nicht Politik. Neubelebung der Westpolitik, gemeinsame Hilfe der G-7 für den Osten, die Bundeswehr als Teil von immer kollektiver werdender Sicherheitssysteme bleibt unverzichtbar, die Entsendung von deutschen Blauhelmtruppen kann in Angriff genommen werden.

Engholm pflegt den konsensbedachten Ton, Lafontaine bringt einen originellen Privatvorschlag: das Problem der „vagabundierenden Atomwaffen“ des Ostblocks müsse durch internationale ökonomische Hilfe plus Abrüstung plus vorläufige Nato-Sicherheitsgarantien angegangen werden.

Wo Kohl zu Jahresbeginn den knallharten Schwerpunkt setzte, beim Prozeß der inneren Einheit, sind die beiden Sozialdemokraten wortreich: alte Industriestandorte müssen saniert, beschäftigungspolitische Maßnahmen weitergeführt, die Eigentumsfrage muß geklärt werden (Engholm).

Oskar Lafontaine profiliert sich ausgiebig als Fachmann für Wirtschaftspolitik, Steuern und Konjunktur — und doch bleibt nicht der Eindruck hängen, daß der deutsche Integrationsprozeß das zentrale Anliegen ist. Die „Ökologisierung der Volkswirtschaft“, Öko-Steuern und andere Ansätze aus dem „Fortschritt 90“ wollen die Sozialdemokraten weiterentwickeln, aber ein zugespitztes ökologisches Konzept ist noch nicht in Sicht.

SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose, der seit Amtsantritt auf Klärung der Personalfrage drängt, hatte sich derweil über die Deutsche Presse-Agentur zu Wort gemeldet. Er geht davon aus, und die SPD wird in einem Monat niemanden mehr damit überraschen, „daß der Parteivorsitzende Björn Engholm nächster Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten wird.“