Tagebuch eines taz-Redakteurs

■ Was alles in dieser Zeitung nicht geht und warum nicht

Unser ehemaliger Redakteurskollege und Immer- noch-Autor Klaus Nothnagel hat sich — warum, wissen wir auch nicht — an zwei sehr bekannten und wichtigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Ostpoet Lutz Rathenow und Ex-taz-Heroine Georgia Tornow »vergriffen« und damit den »Anspruch der taz auf einen fairen Journalismus beschädigt«. So zu lesen vorgestern auf der Seite 21, der ersten Seite des Berliner Lokalteils. Die taz, die »Rathenow viel zu verdanken hat«, mußte sich gar »schämen« für den Schmutzfink. Unser Autor hatte zwar kein Wort gegen Rathenows Stasi-Aufklärungsarbeit gesagt (außer, daß ihn das Thema allmählich langweile), betont aber hier nochmals, wie es seine Kultur-Pflicht ist, daß Beschäftigung mit der Stasi noch keinen besseren Schriftsteller macht (dafür gäbe es gewiß noch andere Beispiele auf beiden Seiten der Front). Andererseits sieht K.N. ein, daß man sich nicht »vergreifen« darf, selbst wenn es sich nicht um regelrechte Notzucht mit Anhängigen handelt; er bekennt sich ausdrücklich zum »fairen Journalismus«, der schließlich — in Tateinheit mit der Befragung ebenjener Zeitzeugen, die auch in allen anderen Medien unablässig präsentiert werden — die taz zu dem gemacht hat, was sie heute ist. Da man bei einem Typ wie Nothnagel nicht annehmen möchte, daß ihm auch Sauberkeit und Skrupel vertraut sind, veröffentlichen wie hier sein bisher unter Verschluß gehaltenes Tagebuch, das ausschließlich Nichtgedrucktes und nicht für den Druck Vorgesehenes enthält. Im Sinne eines sauberen und fairen Journalismus sind sämtliche Namen und sonstigen Angaben zuverlässig anonymisiert. d.Red.

Anfang Dezember. Würde gern ein paar passende Worte über die ehemalige taz-Redakteurin Doretta P. loswerden, die schon in ihrer aktiven taz-Zeit in jeder Fernsehsendung saß und kluge Dinge sprach — bis hinauf ins Kindermagazin Dingsda. Jetzt hat sie einen Talkshow-Moderatorinnen-Job beim ORB und ist genauso gut, wie sie immer war. Die ganze Stadt spricht erregt von nichts anderem! Leider kann dazu gegenwärtig nichts geäußert werden — die taz kann sich selbst nicht verzeihen, daß Frau P., eine der vormals verhältnismäßig wichtigsten Figuren des Blatts, andere Jobs netter und auskömmlicher fand als den in der taz. Die Frau wird einstweilen verschwiegen. Alles andere wäre menschenverachtendes Nachtreten.

8. 12.: Der ostdeutsche Dichter Paul Berz taucht bei uns auf, gibt an, er habe in der DDR einen Literaturpreis als Aphoristiker bekommen, gar als »Meister der kleinen Form«, wie er bescheiden lächelnd angibt. Er tut sehr geheimnisvoll, legt uns aber immerhin eins seiner Klein-Meisterwerke zur Begutachtung vor: DAS BROT DER BILLIGEN JAHRE. Kein/ Schwein/ beißt/ rein. Wir finden es sehr bestürzend und beschließen, es zu drucken; denn Berz hat in Leipzig jüngst einen Chorleiter enttarnt, der jahrelang der Stasi innerchorliche Vorgänge ausgeplaudert hatte.

11. 12.: Wäre es nicht an der Zeit, mal etwas zur Sprache des grünen Bundestagsfraktions-Erzählautomaten Ulf K. zu sagen? Der Mann kann erstaunlich viele entfernt argumentationsähnliche Geräusche ohne Sinn, Zweck und Ziel machen. Es geht nicht. Habe lange nachgedacht. K. ist der einzige, der für die taz immer Zeit hat, wenn sie niemand anderen findet. Schade. Er redet so blödes Zeug!

14. 12.: Heinz Werner M., ehemals taz-Politik-Redakteur und Kommentator von Graden & Gnaden, schreibt in seinem neuen Blatt ('Monatsheft‘ oder so ähnlich, im Osten) hahnebüchenen Unsinn über die »außerparlamentarische Opposition« gegen das Kohl-Regime. Nach Rücksprache mit Berlin-Ressortchef Nowakowski nehmen wir Abstand von einem Text über M. Er war früher bei der taz, die Leser haben ihn geliebt bis zur Hysterie — außerdem ist er nach Ansicht des Ressortleiters auch in seinem neuen Blatt derart brillant in Analyse und Stil, daß es einfach unsauber wäre, sich mit ihm anzulegen. Eine führende politische Stimme der Republik sei er, sagt der Ressortleiter — und wenn man ihn nicht zum Beispiel mal als Informant und eventuellen Interviewpartner in Reserve hat, wen solle man denn dann heranziehen? Das gewöhnliche Volk? Recht hat er.

19. 12.: Seltsame Indizien für virulente Frömmigkeit auf den Gängen der taz. Theaterkritiker B. soll sich in der Toilette selbst gepeitscht und gegeißelt haben, weil er einen grob unsachlichen Verriß statt einer sauberen Abwägung der Fürs, Widers und Fürwiders verfaßt hätte. »Ich bin eine Sau«, soll er gewinselt haben, »ich brauch mich gar nicht zu wundern, wenn ich trotz meinem guten Stil nie die Benno-Martiny-Medaille für sauberen Journalismus kriege!« Von seiten der Lokalredaktion wird darauf hingewiesen, daß der von ihm angegriffene Redakteur womöglich einer der kommenden Berliner Intendanten sei; man müsse sich dann wieder grausam abmühen, ihn für ein klassisches Prominenteninterview zu gewinnen. Außerdem sei bekannt, daß er seinerzeit Momper gewählt habe, immerhin. Seh ich schließlich irgendwie ein. Pech.

19. 12.: In der 'BZ‘ schreibt irgendein (zufällig »ostdeutscher«) Shwachkopf, anläßlich der Vereinigung und der wirtschaftlich-sozialen Umgestaltung Deutschlands sei zu hoffen, daß »auch unsere Frauen wieder vernünftig werden und sich auf ihre angestammten Aufgaben besinnen — als da sind Kochen, Putzen und Gebären«. Riesen-Debatte, sehr erregt. Einige Kolleginnen weisen darauf hin, daß für die These von den »angestammten Aufgaben« im Moment noch gar keine Beweise vorlägen, Geschäftsführer S. sagt, die taz habe sich da sowieso nichts vorzuwerfen, denn von der kürzlichen Entlassungswelle seien ja viele Frauen längst an den heimischen Herd zurückgespült worden. N. von der Lokalredaktion setzt schließlich durch, daß der Text ungekürzt und unverändert in der taz nachgedruckt wird. Sein Argument: Er habe mit der Frau des 'BZ‘-Autors telefoniert, diese habe ihm erzählt, ihr Gatte sei evangelischer Konfession. Wenn man nun bedenke, so Redakteur N., wieviel gerade die evangelische Kirche zum Ende der DDR beigetragen habe, sei es doch wohl selbstverständlich, diesem Autor, dem das ganze Land rein konfessionsmäßig »viel zu verdanken habe«, einen kleinen Gefallen zu tun.

20. 12.: Der ostdeutsche Schriftsteller Alf Z. schickt uns eine Rezension, die nach unseren Informationen schon ein Vierteljahr zuvor wortgleich im 'Tagesspiegel‘ stand. Wir haben dazugelernt und drucken den Krempel einfach weg.

21. 12.: Der Redakteur B. wird abgemahnt. Er hatte auf der »Wahrheit«-Seite nicht nur monatelang streng menschenverachtende Cartoons nachdrucken lassen — er hatte auch noch während einer internen Konferenz behauptet, die meisten tazler kämen ihm gegenwärtig vor wie »Ratten, die auf dem schon halb gesunkenen Schiff noch hastig versuchen, das saubere Absingen vaterländischer Lieder zu lernen«. Der Interims-Chefredakteur läßt ermitteln, daß B. keine Verwandten im Osten, in der evangelischen Kirche oder in irgendeiner mächtigen Kunstversager-Organisation hat und feuert ihn kurzerhand. Ein Gerücht besagt, zu Beginn jeder Redaktionskonferenz solle ab Anfang 1992 das Pressegesetz von einem gemischten Chor gesungen werden. Andere Mitarbeiter schlagen ein »Schwerter-zu-Pflugscharen«-Gebet als tägliches Bewußtseinstraining vor. Wo soll das alles enden?