Onkel Moses, Allrightnik

■ Filme zur Ausstellung »Jüdische Lebenswelten« im Martin-Gropius-Bau

Vom 15. Januar bis 22. April zeigt das Arsenal im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus von jeweils Mittwoch bis Sonntag um 20 Uhr jüdische Filme aus Polen, der UdSSR, den USA, Österreich, Israel und anderen Ländern. Ab Februar werden die Filme im Arsenal wiederholt. Jeden Mittwoch stellen wir sie hier kurz vor.

Den Auftakt der Reihe gab gestern abend Jidische Glikn (Jüdisches Glück, UdSSR 1925), der eine Schlüsselfigur aus der Typengalerie des jiddischen Films vorführt: den Luftmentshn Menakhem Mendl im Milieu des ukrainischen Shtetls Berdichev in der Zeit vor der Oktoberrevolution. Mendl zeichnet sich dadurch aus, daß er sich mit großer Begeisterung einen Flop nach dem anderen ausdenkt, mit Hut und Anzug baden geht und, in seinem größten Projekt als Heiratsvermittler (Verschiffung jüdischer Bräute als Warensendung nach Amerika), ein Mädchen an ein Mädchen verschachert. Ähnlich wie Chaplin präsentiert der jiddische Luftmentsh eine Mischung aus vergammeltem Adel und exaltiertem, pathetischem Slapstick, einen »Getto-Dandy«, dessen Hände ein beredtes Eigenleben führen. Trotz aller coolen Adaption des reibungslosen Ablaufs einer amerikanischen Komödie sorgt sich der Film unterschwellig um den Bestand des Shtetls. Spätere jiddische Filme aus der Sowjetunion sagen sich von dieser Tradition los.

Etwas über eine Stunde dauert Breslauers Die Stadt ohne Juden (Österreich 1924, heute abend), ein nachkolorierter Stummfilm über das Land Utopia, das, von Inflation und Arbeitslosigkeit gebeutelt, durch seinen machtlüsternen Kanzler die Juden des Landes verweisen läßt. In erschreckender Genauigkeit werden Novemberpogrom und Nürnberger Gesetze antizipiert. Durch Einflechtung einer picaresken Liebesgeschichte, die schließlich auch das nationale Ruder herumreißt, wird der Ernst der Lage etwas aufgehellt. Die Gesamthaltung ist defensiv: Die Juden sollen nicht des Landes verwiesen werden, weil sonst die Geschäfte völlig lahmgelegt werden, das Geld zirkuliert nicht mehr und die Räder stehen still. Durch seine zügige Montage aus dokumentarischen Außenaufnahmen von Berliner Demonstrationen, Parlamentssitzungen und Kußszenen im bürgerlichen Salon hat der Film etwas von einer prophetischen Großstadtsinfonie.

Freitag dann Sidney M. Goldins Uncle Moses (USA, 1932), die Geschichte eines grobschlächtigen Fleischers, der aus dem Shtetl in die Lower East Side New Yorks zieht. Er eröffnet eine Kleiderfabrik, in denen er seine landslayt zu neuen Ufern führen will wie einst sein Namensvetter die Israeliten. Aber die Gemeinschaft bricht in der Neuen Welt auseinander; seine Mischpoke organisiert sich in der amerikanischen Gewerkschaft und seine Geliebte heiratet ihn nur aus Rücksicht auf ihre Familie. Als alles in Scherben liegt, findet der Allrightnik Moses wieder zur Religion seiner Väter. Der »jüdische Pate« (Hoberman) illustriert, auf ästhetisch anspruchsvolle Weise, den Spagat der Immigranten zwischen Tradition und Moderne im Milieu der vollgestopften Mietskasernen und Sweatshops der Lower East Side.

Für Samstag abend steht der Freyliche Kabtsonim (Fröhliche Arme, Polen 1937) auf dem Programm. Naftali und Kopl, ein Slapstick-Paar von Kleinkünstlern, halten verschüttetes Öl für eine Mine und planen den großen Coup. Nachdem ein amerikanischer Allrightnik mit seinen Komplizen Einzug in die Kleinstadt gehalten und Naftalis Tochter mit dem Ölplan getürmt ist, werden die beiden kurzzeitig in einem Irrenhaus festgehalten, wo ein Irrer sie zwingt, ihm das Kol-Nidre zu singen. Der Witz, mit dem sich diese beiden Luftmentshn in Fallstricken verfangen, entpuppt sich vollends zum Galgenhumor, wenn sie zum Schluß resigniert beschließen, eine Grabsteinproduktion zu eröffnen. So ist auch dieser Film eine gespenstische Antizipation der Zukunft.

Diese Zukunft, kaum Spielfilmmaterial, wird in drei Dokumentarfilmen behandelt. Image Before My Eyes (USA 1980) ist Josh Waletzkys Versuch, jüdisches Leben in Polen vor dem Holocaust zu rekonstruieren (Samstag, 17 Uhr). Fünf Jahre später dreht Waletzky Partisans of Wilna (USA 1985), eine Interviewserie mit vierzig Mitgliedern des jüdischen Widerstands (Sonntag, 17 Uhr). Der empfehlenswerteste der drei ist Bruxells-Transit des Filmemachers Samy Szlingerbaum (Belgien, 1980), dessen Mutter aus dem Off in Jiddisch über die Emigration aus Polen und die Erfahrungen beim Sichdurchschlagen in der Fremde berichtet. Das Zusammentreffen der jiddischen Sprache mit den leeren Straßen, Bahnhöfen in der Nacht, schmuddeligen Cafés und leeren Wohnungen erinnert an die kruden Filme von Chantal Akerman und erzeugt ein Gefühl von Abwesenheit, Undurchdringlichkeit und Verlust (zu sehen am Sonntag, 19. Januar, 18 Uhr). Miriam Niroumand