Eine Europa-Schule für Berlin

■ Erste »Staatliche Europa-Schule« öffnet möglicherweise schon zum Winterhalbjahr für deutsche und ausländische Schüler/ AL fürchtet Auslese elitärer Schichten

Die Schulpolitik reagiert auf die metropolitanen Veränderungen in der Stadt. Immer mehr Diplomaten, ausländische Betriebswirte, Groß- und Kleinhändler ziehen nach Berlin. 1993 sollen die Grenzen zwischen den EG-Staaten endgültig fallen — und Berlin bekommt eine Staatliche Europa-Schule. Möglichst noch zum Schuljahr 1992/93 sollen die ersten Erstkläßler mit der zweisprachigen Grundschule beginnen können.

Kinder von deutschen und ausländischen Eltern werden dort in ihrer Muttersprache alphabetisiert, aber ansonsten zweisprachig unterrichtet. Gedacht ist zunächst an eine englisch-deutsche, eine deutsch-französische und eine deutsch-russische Klasse. Auch Spanisch oder Griechisch seien aber als mögliche Sprachen der Europa-Schule denkbar, teilte die zuständige Schulrätin Dagmar von Loh aus der Schulverwaltung der taz mit.

Noch ungeklärt ist der Standort der Schule. Mehrere Bezirke haben bereits ihr Interesse angekündigt. Die Grundschulklassen sollen an verschiedenen Standorten Berlins in bestehende Schulen integriert werden. Später soll die Schule dann als Gesamtschule fortgeführt werden. Allerdings hätten auch Gymnasien bereits Interesse an einer Zusammenarbeit geäußert, sagte von Loh.

Ebenfalls noch unklar ist, welche Abschlüsse absolviert werden können. Außer dem erweiterten Hauptschulabschluß, der Mittleren Reife und dem Abitur wird über das sogenannte »Europäische Abitur« nachgedacht. Diesen Abschluß bieten die Europa-Schulen in Karlsruhe und München an, die von der EG für ihre Bediensteten errichtet wurden. Auch in Berlin müßte das Europäische Abitur von einem EG-Inspektor abgenommen werden. Ob dieser allerdings eine Schule bereist, mit der die EG nichts zu tun hat, ist fraglich.

In der Berliner Schulverwaltung brüten noch Juristen über der Anerkennung der Abschlüsse in Nachbarländern. Finanziert wird das Modell zunächst vom Berliner Senat; dort hofft man allerdings noch auf Fördertöpfe der EG. Die Eltern jedenfalls sollen kein Schulgeld zahlen. »Die Schule soll nicht zur Diplomatenschule werden«, so von Loh, sondern auch Kinder aus ganz normalen Verhältnissen aufnehmen, die gerne zweisprachig lernen möchten oder aus bilingualen Familien stammen.

Beim derzeitigen »Zusammenwachsen der Welt« müsse man Schülern die Möglichkeit geben, zwei Sprachen fast zu beherrschen«, erklärt Schulrätin von Loh die Idee. »Wer in Zukunft nur die Muttersprache beherrscht, ist im Grunde genommen ein Analphabet.« Auch die Lehrer der Europa-Schule sollen in ihrer Muttersprache unterrichten.

Auch andere Nationen wollen in Berlin demnächst mit eigenen Schulen aufwarten. So bestehen die Japaner auf einer eigenen Privatschule für die Kinder ihrer Geschäftsleute, die sich vorübergehend in Berlin aufhalten. Bereits 1993 soll sie eröffnen. Auch die Briten planen eine eigene Schule in Berlin.

Noch unklar ist der Verbleib jener Schüler der Militärschulen der Alliierten, deren Eltern nicht Angehörige des Militärs sind. So brachten beispielsweise PanAm-Bedienstete ihre Kinder jahrelang in Militärschulen unter. Mit dem Abzug der Alliierten 1994 werden diese aufgelöst. Einige ihrer Schüler, glaubt man in der Schulverwaltung, wären potentielle Klienten der noch zu gründenden Europa-Schule.

Die AL hatte dem Antrag auf Errichtung einer Staatlichen Europa- Schule 1990 nicht zugestimmt. Sicher müsse die Schule im Hinblick auf Europa erheblich verändert werden, sagte Sybille Volkholz, Ex- Schulsenatorin, der taz. Sie plädiere aber dafür, zweisprachige Ausbildung in allen Bezirken an einer oder mehreren Grundschulen einzuführen und so für die gesamte Bevölkerung zu öffnen. Die geplante Schule berge die Gefahr einer Selektion in sich. »Wir wehren uns gegen die Errichtung einer völlig überteuerten Eliteschule mit westeuropäischer Ausrichtung«, so Volkholz. Eine Europa-Schule als zentrale Schule ziehe eine bestimmte Schicht an und werde auch die Ausleseverfahren dementsprechend ausrichten, fürchtet Volkholz. Außerdem gebe es bisher keinerlei Hinweise, daß die EG sich in das teure Projekt finanziell einschalten würde. Jeannette Goddar