Der Realo-Ritter Köppl rettete die radikale Renate

■ AL-Fraktionschefin Renate Künast nur mit knapper Mehrheit im Amt bestätigt/ Realo Köppl gab den Ausschlag/ Künast: »Mehrheit ist Mehrheit«

Berlin. Die Grüne zitierte Adenauer. »Mehrheit ist Mehrheit«, rechtfertigte sich Renate Künast, nachdem die Fraktion Bündnis 90/ Grüne sie am Dienstag abend mit einem denkbar knappen Ergebnis in ihrem Amt als Vorsitzende bestätigt hatte. Nur 10 der 19 Abgeordneten wollten sich auch im kommenden Jahr von Künast repräsentieren lassen. Sibyll Klotz vom Unabhängigen Frauen-Verband (UFV), die als formal gleichberechtigte Chefin gewählt wurde, konnte sich mit 16 Stimmen einer breiteren Zustimmung erfreuen.

Im Vorfeld der Wahl hatten zwei Fraktionskollegen von Künast erstmals öffentlich Kritik an der 36jährigen Rechtsanwältin formuliert. Der Verkehrsexperte Michael Cramer und die ehemalige Schulsenatorin Sibylle Volkholz warfen ihr vor, in den letzten Jahren eine unklare deutschlandpolitische Linie verfochten zu haben. Im Klartext: Künast habe den Trend zur deutschen Einheit verschlafen. Volkholz und die ehemalige Umweltsenatorin Michaele Schreyer haben der Fraktionschefin außerdem bis heute nicht verziehen, daß sie im November 1990 den Koalitionsbruch mit der SPD herbeiführte, nachdem die Sozis unabgesprochen die Mainzer Straße geräumt hatten.

Die alte und neue Fraktionschefin mag selbst überhaupt nicht bestreiten, daß sie im AL-Spektrum nicht mehr die alte Mittelposition einnimmt, die sie früher einmal gehabt hatte. Nachdem im Gefolge der rot- grünen Koalition viele Fundamentalisten ihren Parteiausweis zurückgaben, »könnte es sein«, so Künast, daß sie inzwischen an den linken Rand der Partei gerutscht sei, »close to the edge«, wie die anglophile Politikerin es selbst formuliert.

Fürs erste gerettet hat sie die Tatsache, daß die Putschisten keine personelle Alternative hatten. Ihr Wunschkandidat Wolfgang Wieland, mit 16 Stimmen als Vize-Fraktionschef bestätigt, wollte gegen Künast nicht antreten. Er gilt zwar vielen AL-Abgeordneten als der politisch und rhetorisch begabtere. Doch für eine Demontage seiner Kanzleikollegin wollte sich Wieland, ebenfalls Rechtsanwalt, nicht hergeben.

Künast und Wieland mühten sich gestern nach Kräften, den Blick wieder nach vorne zu richten. Die Fraktionschefin lobte ihre eigene Fraktion als »die treibende Kraft in der Opposition«. Mit ihrer rechtslastigen Innenpolitik biete auch die FDP keine Alternative. Auf sie, so Wieland, habe offensichtlich »der Geist der Reps abgefärbt«, nachdem die Liberalen deren Parlamentssitze übernommen hätten. Auch die Zusammenarbeit zwischen den erfahrenen AL-Politikern aus dem Westteil und den Parlamentslehrlingen vom Bündnis 90 habe trotz »einiger Konflikte geklappt«, beteuerte der neue Fraktionsvize Christian Pulz vom Bündnis 90. Die grünen Sprecher gestatteten sich sogar Blütenträume von einer Regierungsbeteiligung. Selbst eine Ampelkoalition mochte Wieland »nicht ausschließen«.

Wie soll das mit einer AL funktionieren, die schon an den Zumutungen einer rot-grünen Koalition gescheitert war? Das wissen auch einige AL-Abgeordnete nicht zu sagen. Das Scheitern des SPD/AL- Bündnisses habe die Partei bis heute nicht aufgearbeitet, räumte ein Fraktionsmitglied ein.

Solange diese Konflikte weiterschwelen, wird auch die Auseinandersetzung um Künast andauern. Schon in einem Jahr steht die nächste Wahl zum Fraktionsvorstand an. Dann dürfe es sich nicht wiederholen, daß sowohl Künast wie Wieland ohne Gegenkandidaten antreten, sagen selbst Freunde der Fraktionschefin. Solch ein Mangel an Alternativen in der Alternativen Liste sei schon auf die Kritik der Ostberliner Fraktionsmitglieder gestoßen — und das zu Recht.

Manche Westgrünen — nicht nur die Adenauer-Anhängerin Künast — denken da eher staatsmännisch. Die eine Stimme, die die Rechtsanwältin am Dienstag abend letztlich rettete, kam nämlich nicht von einem eingeschworenen Linken, sondern — man staune — von dem traditionellen Künast-Kritiker Bernd Köppl. »Wir haben«, begründet der Oberrealo dieses disziplinierte Votum, »zur Zeit andere Probleme.« hmt