Wider das »schöne Bild vom feingeistigen Juden«

■ Jüdische Gruppe, Jüdischer Kulturverein und Adass Jisroel kritisieren, bei Ausstellung nicht berücksichtigt worden zu sein

Berlin. Vehement Kritik an der Ausstellung Jüdische Lebenswelten übten am Montag abend Vertreter des Jüdischen Runden Tisches im Gemeindezentrum von Adass Jisroel in Ost-Berlin. Der Runde Tisch ist ein loses Bündnis der Jüdischen Gruppe, des Jüdischen Kulturvereins und der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel. Er setzt sich für eine Pluralität und Unabhängigkeit jüdischen Lebens und Kultur außerhalb der offiziellen Jüdischen Gemeinde von Berlin ein.

Kritik an der Ausstellung hatte der Runde Tisch schon vor der offiziellen Eröffnung formuliert. So wurde auf der Pressekonferenz am vergangenen Freitag ein Flugblatt mit der provokativen Überschrift »Der Senat schenkt den Juden eine Ausstellung!?« verteilt. Bemängelt wurde, daß weder bei den Jüdischen Lebenswelten im Martin-Gropius- Bau noch bei der Ausstellung in der Akademie der Künste, geschweige denn bei der Planung der Gedenkstätte im Haus der Wannseekonferenz jüdische Gruppierungen in die Vorbereitungen einbezogen wurden.

Das Ergebnis, so die Kritiker, sei deshalb eine »falsche Gewichtung«, eine museale Darstellung des jüdischen Lebens in Deutschland. Die Juden kämen nur als »historische Reminiszenzen« nicht als »reale Existenzen« vor. Jetzt nach Ausstellungseröffnung, so bekundeten vor allem Manfred Parma von der Jüdischen Gruppe und Mario Offenberg von Adass Jisroel, habe sich der Vorabbefund »auf eine böse Weise bestätigt«.

Obwohl das Ausstellungsmotto Jüdische Lebenswelten suggeriere, daß es um die Darstellung eines lebendigen und pluralistischen Judentums gehe, sei die Geschichte des Nachkriegsjudentums in Deutschland mit keinem Wort erwähnt. Juden heute, so könne man daher folgern, gäbe es nur noch in Israel und in den USA.

Das sei »ein starkes Stück«, meinte Offenberg, denn trotz tausendfacher Behinderungen gebe es heute auch in Berlin wieder ein vielfältiges jüdisches Leben. Die eigene Gemeinde mitten im traditionell jüdischen Scheunenviertel sei ein gutes Beispiel dafür. Für sehr problematisch hält Offenberg auch, daß die Zerstörung der von den Nazis übriggelassenen Synagogen in den 50er und 60er Jahren in der Ausstellung nicht berücksichtigt wird. Unverständlich sei ihm auch, daß selbst bei der Darstellung des Berliner Judentums vor 1933 die Gemeinde Adass Jisroel »fast totgeschwiegen wird«. Er könne sich das nur als einen Kotau vor dem offiziellen deutschen Judentum erklären, die Adass Jisroel am liebsten aus der jüdischen Geschichte streichen würde.

Die fundierteste fachliche Kritik äußerte der auf jüdische Geschichte spezialisierte Historiker Wolfgang Dreßen. Die Ausstellung weise »große Lücken« auf und sei »einseitig«, sagte er. Dreßen verdeutlichte seine Kritik am Beispiel der Emanzipationsdebatte ab Ende des 18. Jahrhunderts. Die Ausstellungsmacher hätten nur die angepaßten, die sich »bürgerlich verbessernden« Juden dargestellt. Die Emanzipation werde nur als »Assimilation an die Umgebungsgesellschaft« verstanden, und die Juden würden folgerichtig als »Ideal von Musterfremden« vorgeführt.

Ein eklatantes Defizit sei auch, daß bei der Darstellung der Juden im Kaiserreich und der Weimarer Republik nur die erfolgreichen Unternehmer und Künstlergenies vorkommen. Nicht berücksichtigt werde, daß von den vor dem Krieg in Berlin lebenden 170.000 Juden über 40.000 als »arme und fremde Ausländer« von der deutschen Gesellschaft diskriminiert worden seien.

Bei diesem »schönen Bild vom feingeistigen Juden«, kritisierte Dreßen, sei es daher einfach, den Verlust der Juden für die deutsche Gesellschaft heute zu beklagen, und noch einfacher, Toleranz gegenüber Andersdenkenden einzufordern. Anita Kugler