Sächsische Rundfunkpolitik — sehr frei nach Boris Jelzin

Der Frequenzcoup des Ministerpräsidenten Biedenkopf setzt erneut die Diskusssion über die Strukturen des neuen nationalen Hörfunks in Gang  ■ Von Karl-Heinz Stamm

Immer wenn sie gefragt wurde, worauf sie ihre Hoffnung für die Zukunft von DS-Kultur stütze, sagte sie auch: Biedenkopf. Doch nun, am Anfang des neuen Jahres (wir berichteten) hat der „König von Sachsen“ die Chefredakteurin von DS-Kultur, Monika Künzel, bitter enttäuscht. Denn der sächsische Regierungschef hat dem ehemaligen Ostsender die drei Ukw-Frequenzen in Sachsen entzogen und diese, plus zwei weitere Kanäle, dem Deutschlandfunk zur landesweiten Verbreitung seines Programms zugeteilt.

Nicht nur, daß Biedenkopf mit diesem Coup im Widerspruch zu politischen Beschlüssen gehandelt hat, an denen er selber beteiligt war — er hat auch geltendes Recht gebrochen. Gleich zweimal hatten die Ministerpräsidenten die Entscheidung vom 4.Juli 1991 bekräftigt, wonach DS- Kultur zusammen mit dem DLF und dem Rias nationalen Hörfunk anbieten und alle Beteiligten bis zu einer endgültigen Klärung ihre Frequenzen behalten könnten. Zudem wird im jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5.Februar 1991 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß den Parlamenten kein Einfluß auf die Programme eingeräumt werden darf. Auch darf die Staatsregierung — laut sächsischem Privatfunkgesetz — nur dann freie Frequenzen vergeben, wenn sich die beteiligten Sender nicht verständigen können.

In einer ersten Reaktion hat der Intendant des ZDF, das zusammen mit dem ARD-Sender SFB vorläufig für DS-Kultur und seine 184 Angestellten die rundfunk- und arbeitsrechtliche Verantwortung trägt, die sächsische Landesregierung aufgefordert, die Frequenzen dem Sender wieder uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Auch der Ministerpräsident von Hessen, Eichel, der bei der Chefrunde im neuen Jahr den Vorsitz hat, forderte Biedenkopf auf, die Frequenz-Entscheidung wieder rückgängig zu machen. Mit diesem „eigenmächtigen Akt“, so Carola von Braun, die Fraktionsvorsitzende der Berliner FDP, sei Biedenkopf auf dem besten Weg, sich zu einem „Boris Jelzin der Bundesrepublik“ zu entwickeln. Aber, das wissen alle Beteiligten, die Sache ist nicht einklagbar, und so wird vorerst alles so bleiben, wie es ist.

Offiziell war der Alleingang Sachsens gar nicht gegen den Klassiksender gerichtet, der Frequenzcoup richtete sich gegen die Übernahme der halbstündigen Rias- Nachrichten und der Rias-Presseschau durch DS-Kultur. Der Chef des Freistaates sieht darin eine „gefährliche Vorwegnahme erst noch zu erzielender Verhandlungsergebnisse“.

In der Tat ist die Frage, wie der nationale Hörfunk organisiert werden soll, noch immer höchst umstritten. Allein drei Ministerpräsidentenrunden hatten sich bereits mit dem leidigen Thema nationaler Hörfunk befaßt und als Kompromiß ein „Kooperationsmodell“ ins Auge gefaßt. Danach sollen der DLF, Rias1 und DS- Kultur unter dem gemeinsamen Dach von ARD und ZDF zusammengefaßt werden und drei werbefreie Programme ausstrahlen.

Doch nicht erst seit dem Frequenzcoup des Freistaates Sachsen wachsen die Widerstände gegen dieses Modell. Nicht nur Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau neigt einer „Anstaltslösung“ zu, die eine eigenständige nationale Rundfunkanstalt der Länder unter Führung des Deutschlandfunks und unter Einbeziehung von Rias1 und DS- Kultur vorsieht. Letzten Freitag hat sich nun auch Thüringens Regierungschef Josef Duchac für eine unabhängige Anstalt ausgesprochen. Damit liegen die Abweichler von der Kompromißlösung eindeutig auf der Linie von Edmund Gruber. Der Intendant des DLF hatte seit Jahr und Tag die Werbetrommel für eine eigenständige öffentlich-rechtliche Anstalt gerührt.

Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern von Bund, Ländern, dem ZDF und der ARD, die sich am 30.Januar in Mainz zum ersten Mal trifft, soll jetzt ein optimales Organisationsmodell ausloten und die vermögensrechtlichen Fragen klären. Bis Anfang März, wenn sich die Runde der Ministerpräsidenten erneut treffen wird, sollen erste Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Angesichts der verfahrenen Situation ist allerdings fraglich, ob das gelingen kann. Der Medienpoker um den nationalen Hörfunk geht damit erstmal weiter.

In der Ostberliner Nalepastraße, dem Sitz von DS-Kultur, haben derweil die beiden „Hörfunkbeauftragten“ (welch sinniger Name!) — Reinhard Appel vom ZDF und Lothar Loewe für die ARD — ihre Arbeit aufgenommen. Letzte Woche wurden sie auf einer DS-Betriebsversammlung vorgestellt. Appel und Loewe leiten eine Arbeitsgruppe, die bis März dieses Jahres Vorstellungen zu einer „neuen Programmstruktur“ erarbeiten soll. Alle RedakteurInnen wurden dazu aufgefordert, sich daran zu beteiligen.

Bis die MitarbeiterInnen des Klassiksenders endlich ihre auf ein Jahr befristeten Arbeitsverträge in den Händen hielten, hatte es eine ziemlich heftige Zitterpartie gegeben. Genau 48 Stunden dauerte kurz vor Weihnachten die Prozedur, bis die teils eingeflogenen Westler den Daumen senkten oder mit den Arbeitspapieren winkten. Zwar wurden eine Vielzahl der alten MitarbeiterInnen übernommen, doch hat es vor allem im redaktionellen Bereich auch eine Menge von Honorarverträgen und solche für „fest-freie“ Anstellungen gegeben.

Schlecht sieht es auf der Chefetage aus. Der stellvertretende Chefredakteur Stefan Amzoll galt den neuen Programmverantwortlichen als zu wenig „integrationsfähig“. Er erhielt keinen Vertrag, während die zweite stellvertretende Chefredakteurin Claudia Perez sich für den aufreibenden Job erst gar nicht wieder beworben hatte. Sie macht jetzt wieder Programm. Zwar heißt auch die neue Chefredakteurin wieder Monika Künzel, aber ob sie es auch bleibt, ist ganz so sicher nicht, denn schließlich will ZDF-Intendant Stolte erst genauer sehen, wer da unter sein öffentlich-rechtliches Dach schlüpft.