Vom langsamen Theatertod

■ Stuttgarts Kulturbürokraten und die Privattheater der Stadt

Seit fast einem Jahr wird in Stuttgart ein Schauspiel gegeben, das auf drei Akte angesetzt ist, von denen zwei bereits über die Bühne sind. Am Anfang stand grandioser Bühnenzauber: Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU), in Personalunion auch Kulturchef der Stadt, versuchte sich als Macbeth und verkündete die Streichung aller Zuschüsse für vier Privattheater. Zwar mußte er seine Eliminierungspläne nach massiven Protesten (auch aus der eigenen Partei) wieder zurücknehmen, sattelte aber sofort auf Jago um und läutete den zweiten Akt ein, der unter dem Motto „Anbahnung des langsamen Theatertodes“ steht.

Die Zuschüsse sollen eingefroren und nicht einmal mehr an die Teuerungsraten angeglichen werden, was angesichts der angespannten finanziellen Lage der Privatbühnen einem Ende ihres professionellen Betriebes gleichkäme. So wie es jetzt steht, werden einige von ihnen schließen oder in die Bedeutungslosigkeit absacken — die Frage ist nur, wann. Eine Pikanterie am Rande: Baden- Württembergs Kunstminister Klaus von Trotha (CDU) erkannte die Notlage und bewilligte wesentlich mehr Landesmittel, worauf Stuttgarts Jago prompt die städtische Förderung kürzte, so daß sich nicht nur Heidemarie Rohweder (Intendantin des „Theaters im Westen“, das mit seinem ambitionierten Spielplan auch überregional Resonanz findet) gemeuchelt fühlt: „Durch das Vorgehen des OB fehlen uns 100.000 Mark im laufenden Etat, wir fühlen uns betrogen“, sagt sie und spricht im Namen der anderen drei Bühnen „Theater der Altstadt“, „Die Rampe“ und „tri-Bühne“. Aber nicht nur denen geht es so.

Auch Baden-Württembergs Kunstminister klagte öffentlich über seinen Stuttgarter Parteifreund, der sich Landesgelder einverleibte und in die Reihe der kommunalen Oberhäupter einreihte, die zuerst einmal die Theater spüren lassen, was Jahrhundertaufgaben wie die deutsche Vereinigung kosten. Ein Gespenst geht um auf Deutschlands Bühnen, vor dem selbst Hamlet zittern würde — in Stuttgart hat es ein Doppelgesicht. Neben OB Rommel agiert Kulturamtsleiterin Dorit Sedelmeier, die sich nicht so recht entscheiden mag, ob sie in die Rolle der Lady Macbeth schlüpfen oder denn doch die theaterliebende Julia geben soll. Im Zweifelsfalle jedoch spielt sie im Königsdrama mit: „Die Privattheater müssen endlich aufhören, nur engstirnig für ihre eigenen Interessen zu kämpfen“, sagt sie und vertritt vehement ihre Idee eines Theaterbeirates, der die Privatbühnen beurteilen und entscheiden soll, in welcher Höhe welches subventioniert wird.

Daß die Theater das ablehnen und empört sind, weil man sie trotz der fast einjährigen Spekulationen noch nie anhörte, scheint Stuttgarts Lady Macbeth weniger anzufechten. Zwar sei ihr Vorgehen nicht populär, räumt sie ein, aber: „Der Kunstbereich ist nicht sakral. Eine Stadt muß sich überlegen dürfen, wieviel und welches Theater sie will.“

Am nächsten Mittwoch hebt sich der Vorhang für den dritten und vorläufig letzten Akt. Zum ersten Mal wird es den Privattheatern gestattet, ihre Situation vor dem Gemeinderat darzustellen, eine Entspannung der Situation erwarten sie allerdings nicht. Gesa Kirchknopf ist stellvertretender Intendant der „tri-Bühne“, wo man Kontakte zu wichtigen europäischen Bühnen aufbaute und zum Beispiel für ein Festival 1993 die feste Zusage von Giorgio Strehlers „Theatro Piccolo“ hat. Dem Argument der Kulturamtsleiterin, Stuttgart stehe mit seiner Theaterförderung bundesweit an der Spitze, widerspricht er: „Stuttgart hat kein Stadtheater, dafür haben sich die Privattheater entwickelt, die mit insgesamt elf Millionen gefördert werden. Vergleicht man das bundesweit mit der Förderung der städtischen Bühnen, ist Stuttgart im unteren Drittel zu finden. Für uns kommt ein Einfrieren der Gelder einer Strangulierung gleich, unser Spielplan wird zusammenbrechen.“

Daß man sich auch in anderen Städten derzeit im Strangulieren übt, kann ihn wahrscheinlich nicht trösten, und auch nicht, daß das rambohafte Vorgehen der Kulturbürokraten häufig hilflos wirkt. Freiburgs Kulturdezernent Landsberg (SPD) zum Beispiel wollte die Tanztheatersparte streichen und mußte einen Rückzieher machen, weil sich der Intendant wehrte — jetzt geht der Intendant (ironischerweise nach Stuttgart), weil man seine Vertragsverlängerung hinauszögerte. In München wollte OB Kronawitter (SPD) den Umbau des „Theater der Jugend“ stoppen, wurde jedoch von der eigenen Partei gestoppt und will jetzt den Privatheatern die Mittel kürzen. Ein unerwarteter Nebeneffekt der bürokratischen Amokläufe: Spaltungsstrategien rufen derzeit eher Solidarisierungseffekte hervor, und so stellte sich Freiburgs freie Szene hinter das Stadttheater, obwohl man im Rathaus andeutete, es werde künftig mehr Geld in Richtung freie Szene fließen.

Und in Stuttgart ist es schon seit einiger Zeit zum Schulterschluß zwischen Staatstheater und Privatbühnen gekommen. Staatsschauspieler geben Gastspiele etwa im „Theater im Westen“, und am Sonntag veranstalten alle Bühnen im Kleinen Haus des Staatstheaters einen Tag gegen Fremdenhaß. Jürgen Berger

„Stuttgarter Theater gegen Fremdenhaß“. 19.Januar, 15Uhr, Eintritt frei. Im unteren Foyer wird es ein internationales Buffet geben, im oberen Foyer laufen Filme, während sich gleichzeitig das Staats-, die Privattheater und internationale Musikgruppen auf der Bühne des Kleinen Hauses mit Beiträgen zum Thema abwechseln.