Else liebt Lars, Michi düpiert Boris

Lars Koslowski erreicht die dritte Runde der Australian Open und begeistert die deutschen Fans/ Auch Becker siegt, ist aber sauer auf Stich, weil der bei Olympia nicht mit ihm doppeln will  ■ Aus Melbourne Mario Vigl

„Schön Zeit beim Aufschlag lassen, Lars“, mahnt Gerhard Thiel (67) aus Hamburg und erklärt seiner Frau Else mit ernstem Blick: „Das letzte Aufschlagspiel ist immer das schwerste.“ Leider hat Lars den guten Rat gar nicht vernommen. Lars heißt nämlich Lars Koslowski und führt gerade gegen den Italiener Paolo Cane mit 6:2, 1:6, 7:6 und 5:2. Da hat man kein Ohr für Rentner. Paolo, dessen einstige wilde Haarpracht einem unbarmherzigen Barbier zum Opfer gefallen ist, mag es gar nicht glauben, wie der 18jährige Lars bei seinem ersten Grand-Slam- Turnier die Bälle in die Ecken drischt. „Mach den Sack zu“, haucht Else, aufgeregt wie vor der ersten Tanzstunde weiland anno 1951 und drückt die Hand ihres Gatten etwas fester. Da hat Cane den Matchball auch schon vergeigt, und Koslowski ist in Runde drei.

„Hach, ist das schön“, freut sich Else, „das gönn ich diesem jungen, netten Mann, der spielt so frei und fröhlich.“ Die Thiels sind „extra fürs Tennis“ nach Australien geflogen. „Bis jetzt haben wir dem Lars Glück gebracht“, sagt Gerhard, zusammen mit Else ein Paar von Loriotschen Dimensionen. Das Glück kann Lars morgen auch brauchen. Da wartet David Wheaton (USA), der Abkassierer 1991. Zwei Millionen Dollar für vier Spiele beim Münchner Grand-Slam-Cup, ein gewiefter Minimalist, dieser Wheaton. Gegen Niklas Kulti gewann er nach Abwehr von drei Matchbällen mit 6:3, 5:7, 6:4, 2:6 und 8:6, was ihm läppische 14.500 Dollar einbrachte. Wie gemein, ist dieser Mann doch ein anderes Preis-Leistungs-Verhältnis gewohnt!

Dafür hatte es wenigstens eine Linienrichterin recht gut mit Dollar- David gemeint, einer Dame mit Sinn für gekonntes Timing. War sie fünf Stunden lang mucksmäuschenstill gewesen, rief sie bei 6:6, Einstand, im fünften Satz dem gerade seinen zweiten Aufschlag ins Feld spielenden Kulti ein beherztes „Fußfehler“ zu. Der durch die subtile Entscheidung schwer geschockte Kulti verlor darauf Aufschlag und dann das ganze Match. Lange Wochen wird er noch nachts schweißgebadet aufwachen, „Fußfehler“ brüllen... Frauen können so brutal sein.

John McEnroe hätte diese Linienrichterin wahrscheinlich mit Haut und Haaren aufgefressen. Doch gegen den Russen Tscherkassow hatte Big Mac wenig Grund zur Klage. Angesichts der möglichen Drittrundenbegegnung gegen Boris Becker waren die Unparteiischen dem alternden Tennishelden wohlgesonnen. Was den manchmal deftig benachteiligten Tscherkassow verständlicherweise zur Weißglut brachte. Wenn der Schiedsrichter Russisch könnte, das hätte für gut drei bis vier Disqualifikationen ausgereicht. Weil McEnroe aber auch wirklich so nettes Angriffstennis zeigte, setzte sich Alter vor Jugend durch: 7:5, 3:6, 6:4 und 6:3. Gegen Boris wird's schwerer, fürchtete Johnnie nach dem Spiel: „Da gewinn' ich nur, wenn sich der Junge beide Beine bricht.“

Vielleicht könnte etwas anderes McEnroe zu einem Sieg über Becker helfen. Die nächste Psychohürde, die dem Leimener von Journalisten angekündigt wurde. Der Verräter Michael Stich will nämlich nicht mit Boris das deutsche Olympia-Doppel spielen. Gestern schlug der Deutsche Tennis-Bund (DTB) zum Entsetzen von Daviscup-Kapitän Pilic dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK) statt dessen das Doppel Stich/ Riglewski vor, welches gerade in der ersten Runde von Melbourne mit 6:7, 6:7 gegen Patrik Kühnen aus Bamberg und den Niederländer Menno Oosting rausgeflogen war.

„Auf Wunsch von Michael“ sei dies geschehen, verkündete der DTB. „Dabei hat Michael Stich mir vor zwei Monaten schon zugesagt“, schmollte Boris und fügte hinzu: „Ich denke, in Barcelona sollte das beste deutsche Doppel spielen, und nicht das zweit- oder drittbeste.“ Ohrenzeugen zufolge soll es in der Kabine zu einem „intensiven Gespräch“ zwischen Becker und Stich zur Doppelfrage gekommen sein.

Bringt dieser Schicksalsschlag Boris endlich mal aus dem Konzept? Gegen den Italiener Gianluca Pozzi hatte er bei seinem Dreisatzsieg gar keine Probleme, was bedeutet, daß er beim Durchlesen der deutschen Presse-Erzeugnisse zum Thema Boris und die geldgierige Barbara keinen mentalen Schaden genommen hat. Wie stark ist dieser Becker wirklich? Muß man erst seine Mutter skalpieren, um ihn aus dem Konzept zu bringen?

Mit skalpmesserscharfen Aufschlägen bolzte sich Markus Zoecke gegen Cedric Pioline (FRA) in die nächste Runde. Nach dem 3:6, 6:2, 7:6 und 7:6 des Berliners hatte Pioline gar keine Lust mehr und ließ sich erst mal auf den Rücken plumpsen. Jetzt darf Lendl sich den „Sögg“ (Aussprache des Schiedsrichters)- Geschossen entgegenstemmen.

Frauen, 1. Runde: Zwerewa - Thoren 6:4, 6:4; Hy - Magdalene Malejewa 6:4, 6:3; Fendick - Niox-Chateau 6:1, 6:3; Cioffi - Wood 6:4, 6:2; Dechaume - Fulco 6:4, 6:1; Jagermann - Godridge 6:4, 7:6; 2. Runde: Huber - Jaggard 6:0, 6:1; Seles - Date 6:2, 7:5; Meschki - Arendt 6:1, 6:2; Strnadova - Gildemeister 4:6, 6:4, 9:7; Sawtschenko - Durie 4:6, 6:4, 6:1; White - Dahlman 6:2, 6:4; Sanchez-Vicario - Testud 6:1, 6:1; Whitlinger - Lindqvist 6:3, 7:6 (7:3); Fang Li - Stubbs 7:5, 6:2; Fairbank - Emmons 6:4, 6:2; Po - Limmer 3:6, 6:4, 7:5; Basuki - Field 6:7 (5:7), 6:3, 6:4; Malejewa-Fragniere - Habsudova 6:3, 6:3; Novotna - Alter 6:3, 6:2; Kochta - Kidowaki 6:3, 6:1.

Männer, 1. Runde: Wahlgren - Gilbert 1:6, 6:2, 6:1, 3:6, 6:2; Pozzi - Shelton 4:6, 7:6, 2:6, 6:2, 6:2; Stolle - Oncins 3:6, 6:3, 7:5, 4:6, 6:2; Svensson - Matsuoka 6:0, 7:5, 6:3; Grabb - Rafter 3:6, 6:0, 7:6, 6:2; Enqvist - Larsson 7:5, 7:6, 7:5; Washington - Stafford 6:4, 6:2, 6:1;

2. Runde: Becker - Pozzi 7:5, 7:5, 6:2; Koslowski - Cane 6:2, 1:6, 7:6 (7:1), 6:2; Ferreira - Novacek 3:6, 6:3, 7:6 (8:6), 7:6 (9:7); Woodforde - Clavet 6:7 (5:7), 6:4, 6:1, 3:6, 7:5; John McEnroe - Tscherkassow 7:5, 3:6, 6:4, 6:3; Edberg - Mezzadri 6:1, 6:2, 6:1; Lendl - Rasheed 6:3, 6:2, 6:3; Fitzgerald - Siemerink 7:5, 6:1, 7:6 (7:4); Patrick McEnroe - Tarango 6:1, 4:6, 6:4, 6:3; Tschesnokow - Bloom 3:6, 6:3, 6:4, 6:4; Wahlgren - Rostagno 6:1, 7:5, 7:6 (7:3);

Camporese - Youl 6:3, 6:4, 7:6 (7:4); Schapers - Eltingh 1:6, 6:4, 5:7, 6:1, 6:3; Wheaton - Kulti 6:3, 5:7, 6:4, 2:6, 8:6; Zoecke - Pioline 3:6, 6:2, 7:6 (7:5), 7:6 (7:5).