Agentenphobie in dänischer Presse

Jagd nach angeblichen KGB-Agenten/ Ex-KGB-General liefert Fortsetzungsgeschichten gegen hohes Honorar/ Fotograf Jacob Holdt und Redakteur von 'Information‘ stehen im Mittelpunkt  ■ Aus Kopenhagen R. Wolff

Jacob Holdt, dänischer Fotograf, der Ende der 70er Jahre mit seinem Bildband über die Armut in den USA, Bilder aus Amerika, weltweites Aufsehen erregte, soll KGB-Agent gewesen sein. Und auch Jorgen Dragsdahl, außenpolitischer Redakteur der linken Tageszeitung 'Information‘, einer der kompetentesten sicherheitspolitischen Analytiker des Landes, als solcher auch jahrelang Mitglied des Ausschusses, der die dänische Regierung in Fragen der Abrüstungs- und Sicherheitspolitik beraten hat. Das behauptet jedenfalls das dänische Boulevardblatt 'Ekstra Bladet‘, auflagenstärkste Zeitung des Landes. Die dänische 'Bild‘ kommt nun schon seit zwei Wochen nahezu täglich mit neuen angeblichen Enthüllungsgeschichten auf den Markt: Würde nur die Hälfte stimmen, wäre Dänemark zu Zeiten des kalten Kriegs mit einem dichten Netz von KGB-AgentInnen überzogen gewesen. Die Hauptquelle des Blattes: der frühere KGB-Oberst Gordijewski, seit 1974 angeblich als Doppelagent aktiv, bis er sich 1985 in den Westen absetzte und seither unter falschem Namen in Großbritannien lebt. 'Ekstra Bladet‘ will „lange, intensive Gespräche“ mit ihm geführt haben. Es ist in der Medienbranche kein Geheimnis, daß Gordijewski seine „Enthüllungen“ von saftigen Honorarzahlungen abhängig macht. 'Ekstra Bladets‘ Enthüllungsserie hat Dänemarks Presse über die nachrichtenarme Neujahrszeit geholfen und in zwei Lager gespalten. 'Ekstra Bladet‘ und der Rest der konservativen Zeitungen, vor allem 'Berlingske Tidende‘ und 'Jyllands-Posten‘, die das Thema breitwalzen und schon immer gewußt haben, in welchen Topf der linke Journalismus gehört und woher er sein Geld bekommt. Auf der anderen Seite 'Information‘ und das sozialdemokratische Boulevardblatt 'Det fri Aktuelt‘, die viel Spaltenplatz aufwenden, um genüßlich die angeblichen Enthüllungen der Konkurrenz vom Vortage zu zerpflücken.

Jorgen Dragsdahl und 'Information‘ gehen mittlerweile auch gerichtlich gegen 'Ekstra Bladet‘ vor. Die Beschuldigungen seien „unwahr, beleidigend und eine Gefahr für meine weitere Arbeit als Journalist“, so Dragsdahl, der neben einer Strafanzeige wegen Verleumdung auch den Presserat angerufen hat. Auch eine Schadenersatzklage hat er angekündigt. Zwischen 'Information‘ und 'Ekstra Bladet‘ wird mit harten Bandagen gekämpft, seit 'Information‘ im letzten Frühjahr in einem Leitartikel den 'Ekstra Bladet‘- Chefredakteur Sven Ove Gade wegen einer besonders unappetitlichen Mordberichterstattung als „Schwein“ bezeichnet hat. 'Information‘, die gerade mal wieder um ihr Überleben kämpft, sieht die gegen Dragsdahl geäußerten Beschuldigungen zu Recht als gegen die Glaubwürdigkeit der unabhängigen Linie der Zeitung selbst gerichtet: Der Vorwurf eines „KGB-Blatts“ schwingt zwischen den Zeilen der Konkurrenz ständig mit.

Damit nicht genug. Mehr und mehr ist durch die Gordijewski-Geschichten die gesamte linke Szene Dänemarks ins Zwielicht geraten. Gutbezahlte „Einflußagenten“ sollen die Hände bei nahezu allen Organisationen und Aktionen von Friedensgruppen bis zu HausbesetzerInnen im Spiel gehabt haben. Geheime Dokumente gibt es hierüber angeblich, die Gordijewski noch nicht herausgerückt habe. Dragsdahl und auch Jacob Holdt haben mittlerweile eingeräumt, tatsächlich vom KGB kontaktiert worden zu sein. Sie hatten dies auch schon vor Jahren jeweils unabhängig voneinander der dänischen Sicherheitspolizei gemeldet, als ihnen die Anwerbeversuche zu unangenehm wurden.

Dragsdahl machte aus seinen Kontakten zu Diplomaten der sowjetischen Botschaft nie ein Hehl: „Ganz normal für einen Journalisten mit meinem Themenschwerpunkt.“ Und er fragt sich, warum die Regierung ihn denn in den achtziger Jahren in den sicherheitspolitischen Ausschuß berufen habe, wenn doch angeblich Gordijewski damals schon seit Jahren als Doppelagent tätig gewesen, also über eine mögliche Agententätigkeit von ihm hätte berichten können? Sicher sei er ein scharfer Kritiker der westlichen Aufrüstungspolitik und der Nato-Strategie in den achtziger Jahren gewesen. Den KGB hätte er dazu aber wirklich nicht als Gedankengeber gebraucht und Geld oder Geschenke von diesem nie angenommen. — Geld aus der KGB-Kasse angenommen hat Jacob Holdt. 10.000 Kronen (etwa 3.500 DM), die er zusammen mit den Millioneneinnahmen aus dem Verkauf seines Amerika-Buches einem Fonds für soziale Projekte in Afrika zur Verfügung stellte.

Der Sicherheitspolizei hatte er die Kontakte gemeldet und „für die Methoden des KGB nur Verachtung übrig gehabt“. Wie hätte dieser glauben können, ihn wegen seiner kritischen Fotos in ihren Propagandakrieg gegen die USA einspannen zu können? Die von ihm informierte Sicherheitspolizei hatte ihm geraten, eine Zeitlang mitzuspielen, um zu sehen, was der KGB mit ihm vorhatte. Er selbst wollte über die Kontakte den sowjetischen Einfluß in Angola nutzen, um dort den Bau eines Krankenhauses zu finanzieren. Holdt: „Heute kann ich über das Ganze nur noch lachen.“ Doch einmal auf Agentenjagd, will 'Ekstra Bladet‘ nicht aufgeben, auch wenn von den angeblichen 'Topagenten Moskaus‘, Dragsdahl und Holdt, schon jetzt kaum etwas übriggeblieben ist. Es gibt viele arbeitslos gewordene ehemalige KGB-Agenten, und die Ankündigung einer neuen Schlagzeile, „noch viele Dänen“ würden wegen ihrer KGB-Mitarbeit enthüllt werden, läßt Schlimmes befürchten. Von einem „Neu- McCarthyismus“ schreibt deshalb auch 'Information‘, dessen „Stoff sich die Medien von arbeitslos gewordenen Agenten“ holen: „Diese Leute haben ja auch kaum eine andere Möglichkeit, ihren künftigen Lebensunterhalt sicherzustellen. Aber auch wenn man das weiß, ist es mehr als unbehaglich. Wie leicht können Menschen so hingerichtet werden!“