INTERVIEW
: Diese Argumentation ist instinktlos

■ Sachsens SPD-Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel über Otto Schily als Berghofer-Verteidiger

taz: In der SPD gibt es Streit über Otto Schilys Auftreten als Berghofers Verteidiger im Wahlfälschungsprozeß.

Karl-Heinz Kunckel: Unsere Auffassung in der Partei hier in Sachsen ist einhellig. Es gibt nur unterschiedliche Auffassungen, die von Herrn Schily, aber auch von anderen Sozialdemokraten getragen werden.

Beanstanden Sie, daß der SPD-Politiker Schily den früheren SED-Funktionär verteidigt, oder sind Sie gegen Schilys Argumentation in diesem Prozeß?

Ich habe Kritik an der Argumentation. Rechtsstaatlichkeit und die Freiheit sind die zwei Dinge, die wir am 3.Oktober geerbt haben. Das ist ein hohes Gut, das wir schützen werden. Aus diesem Grunde habe ich immer gesagt, Herr Berghofer hat Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren und auf einen Verteidiger, der von mir aus mit allen Wassern gewaschen ist.

Die Frage ist nur, mit welcher Argumentation Herr Schily angetreten ist. Er sagt: Was nicht echt war, kann nicht gefälscht werden. Ich habe in Herrn Schily den Politiker angesprochen und gemeint, in einer solchen Situation sollte man vielleicht mehr Zurückhaltung üben. Es ist doch außer Frage, daß das System 89 zusammengebrochen ist, weil ein bestimmtes Klima entstanden war, auch durch die massiven Wahlfälschungen.

Von ihren Parteifreunden Wolfgang Thierse und Friedrich Schorlemmer ist ein Tribunal vorgeschlagen worden. Wäre es nicht besser, die Frage nach den Wahlfälschungen dort zu behandeln?

Thierse und Schorlemmer sind bislang über die Frage, daß man so etwas tun muß, eigentlich noch nicht hinausgegangen. Es gibt im Moment keine pragmatischen Vorschläge. Die Vergangenheitsbewältigung hat sich fast ausschließlich auf die Stasi reduziert. Und es genügt ja heute, einen Verdacht zu äußern.

Ich verstehe Schilys Argumentation eigentlich so, daß der Gerichtssaal nicht geeignet ist, zur Wahrheit zu finden und zu lernen, mit ihr umzugehen.

An dieser Argumentation hätte ich, egal wer sie führt, Kritik geübt. Andererseits gönne ich Berghofer einen cleveren Verteidiger. Und wenn sich herausstellt, daß er unschuldig ist, dann muß ich damit leben, ob mir das gefällt oder nicht. Interview: Detlef Krell