Alles ist abgearbeitet!

■ Vom Bücher-Radieren zur EDV: Stadtbibliotheks-Chefin Martha Höhl läßt sich pensionieren

„Es gab damals einen Lesekanon. Geistig Interessierte sprachen über die Bücher, die sie gelesen haben.“ Solche Sätze spricht Martha Höhl, Direktorin der Bremer Stadtbibliothek. Oder: „Erfolg im Leben hatte ich nie durch Kampf, es ergab sich einfach. Dafür bin ich meiner Biografie dankbar.“ Martha Höhl ist Jahrgang '30 und geht in Pension. Am 31.5. ist Schluß. Definitiv. Das ist gut für Leib und Seel'.

Heute ist ein schöner Tag. Nach endloser Umbauzeit kann Frau Höhl die Neueröffnung der Graphothek in der Weserburg feiern. Sie strahlt und ist angenehm verbindlich und überhaupt kein klassischer Managertyp — ihr Betrieb hatte in besseren Tagen immerhin über 200 MitarbeiterInnen. Sie wirkt mütterlich. Solche Note erhält sich eher in behördenähnlichen Gefügen.

Natürlich hat sie mit Karl May unter der Bettdecke angefangen. Das war „heimlich entwendete Literatur“ aus dem Bücherschrank der Eltern. Der Vater war kleiner Postler, die Mutter zog fünf Kinder groß. Als einzige durfte Martha in Dortmund die Realschule besuchen. Dort tauschte sie Literaturinterpretationen gegen Matheaufgaben. Mit 16 lernte sie in Köln Bibliothekarin. Von der Pike auf. Pike meint hier: das Sauber-Radieren zurückgegebener Bücher.

Nach der Ausbildung ein Job an der Dortmunder Stadtbibliothek, wo sie es bis zur Chefin des Lektorats brachte. 1974 bewarb sich Martha Höhl nach Bremen als Abteilungsleiterin der Stadtbibliothek, und 1976 war sie schon Direktorin. Eine Erfolgreiche.

Letztes Jahr gab's die Urkunde für 40 Dienstjahre, dieses Jahr steht sie 16 Jahre der Stadtbibliothek vor. Auf was blickt Martha Höhl zurück? „Ich habe in der Stadt Menschen gedient, die das geistige Leben ausmachen.“ Das Wort dienen spricht sie unbefangen aus. Sie hat, sagt sie, „unedle Medien“ in den Bibliotheken eingeführt: z.B. das Spiele-Angebot für „sozial Schwache“. Sie hat am erweiterten Stadtbibliotheks- Begriff gearbeitet: „Bücherausleihe umfaßt nicht nur Literatur.“ — Sachbuch, Lebenshilfe, Veranstaltungen, Diskussionen — alles gehört in die Bibliothek.

Wenn man sehen will, wie sich Frau Höhls Miene verfinstert, muß man sie auf den Zeitraum '82-'87 ansprechen, auf eine „sehr furchtbare Zeit“: Etatkürzungen. 1/3 des Buchetats wurde gestrichen, 1/3 des Personals mußte raus. 69 MitarbeiterInnene weniger. In „sieben Jahren Abbau und Frustration“ mußte sie drei „Abschmelzkonzepte“ vorlegen. Erst gegen Ende ihrer Laufbahn scheinen das Loch überwunden, „die Mitarbeiter befreit vom Frust“. Jetzt kommt: EDV. „Alles ist abgearbeitet. Es muß nur die Steckdose in die Wand.“ Die Stadtbibliothek auf dem Weg zur Infothek.

Martha Höhls Traum: Eine ganz neue Zentralbibliothek muß her! „Unsere Zentrale am Schüsselkorb ist die schäbigste, kleinste, unzulänglichste Bibliothek in Deutschland.“ Ideal wäre ein Neubau innerhalb eines komplett umgestalteten Bahnhofsvorplatzes. Ein „Haus mit Animationscharakter“, mit Cafe und Essen und Diskutieren und Veranstaltungen und Softwareverleih... Kurz: ein „Marktplatz“. In Essen und Rotterdam könne man sich ähnliche Projekte ansehen.

Martha Höhl wird von all den möglichen Neuerungen gerade noch die Renovierung des Schüsselkorbs mitbekommen — ab 18. Februar ist dort dicht. Von ihren Ehrenämtern will sie ebenfalls zurücktreten, Jury Literaturpreis, Rundfunkrat, Vertretung Bremens im Deutschen Literaturfond. „Ich habe sehr intensiv gearbeitet“, sagt die Mutter einer Tochter. Sie freut sich auf die viele Zeit ab Juni. Und hat Sorgen: „Die Fähigkeit zur Muße habe ich nicht geübt.“ Burkhard Straßmann