Der Westen muß helfen, Saddam zu stürzen

■ taz-Gespräch mit einer Lehrerin aus dem Irak, die in der Bundesrepublik Asyl beantragt hat

taz: Warum sind Sie (nach dem Krieg) aus dem Irak geflohen?

Nada A. Majid: Ich habe in der Schule über die Regierung geschimpft, weil eine meiner Schülerinnen vor Hunger ohnmächtig wurde. Das wurde der Regierung geschrieben. Mir drohte Gefängnis.

Gab es ähnliche Fälle in Ihrer Umgebung?

Eine Freundin von mir ist zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil sie am Telefon mit einer Freundin über Saddam gelacht hatte. Das war, als im Fernsehen Saddam mit seiner Frau Arm im Arm bei einem Spaziergang in den Bergen gezeigt wurde. Sie hatte nur gefragt, hast du auch die Lovestory gesehen? Und die andere hatte gelacht. Weil die eine Freundin als Fernsehansagerin arbeitet, hatte der Geheimdienst das Gespräch abgehört.

Die Fernsehansagerin bekam lebenslänglich. Die andere Freundin 20 Jahre Gefängnis. Weil sie Mutter von vier Kindern ist, eines davon ist noch ein Säugling, konnte ein Anwalt die Strafe auf 15 Jahre drücken.

Wie sind Sie geflohen?

Ich habe meinen Paß besorgt und gleich am nächsten Tag bin ich mit Hilfe von Bekannten aus Bagdad geflohen und habe ich mich zehn Tage lang versteckt, bis wir jemanden gefunden haben, der mich über die Grenzkontrollen bringen konnte. Mit Bestechung?

Es geht aber auch über Freunde, die mit denen zusammenarbeiten. Das ist sehr oft passiert.

Wann sind sie geflohen?

Im September, als die Schule wieder anfing.

Während der Aufstände gab es aber doch eine Zeit im Irak, in der die Leute endlich mal den Mund aufmachen konnten?

Ja,ja. Deshalb wurden viele Leute mutiger. In dieser Zeit war die „Party“ (Baath-Partei) ein bißchen schwächer. Aber ab September, als die Schule wieder anfing, als sie wieder ein bißchen mächtiger wurden, haben sie wieder viele Leute ins Gefängnis gesteckt.

Wie äußert sich die neue Bedrohung?

Z.B. kommen sie ins Haus gestürzt — weil sie angeblich Waffen suchen. Dann werden die Menschen einfach ins Gefängnis geschleppt. Keiner weiß, wie es denen da geht. Wir haben viele Beweise, daß Männer gefoltert werden, Frauen vergewaltigt, manche kommen überhaupt nicht zurück oder man findet sie zerstückelt auf den Straßen.

Können Sie die Folgen des Krieges in Ihrer Umgebung beschreiben?

Wir haben in der Nähe von dem Militärbunker gewohnt, in den die Regierung hunderte von Menschen reingelassen hatte, den die Amerikaner dann bombardiert haben und in dem 350 Leute umgekommen waren. Die beiden Raketen waren ja gezielt in den Lüftungsschacht gefallen und sind im vierten Untergeschoß explodiert. Unser Haus hat sich nur von unten geschüttelt. Aber am nächsten Tag konnten wir sehen, daß es wirklich ein Schritt in die Steinzeit zurück war: der Bunker, die Häuser daneben, der ganze Block war zertrümmert. Die Leichen lagen überall. Drei Tage lang hat man Leichen da rausgeholt. Die Häuser daneben haben Leute unter sich begraben - es war grausam, das zu sehen.

Wie haben Sie die Zeit vor dem Krieg erlebt?

Als die Wirtschaftssanktionen anfingen, haben wir gedacht, daß die nur dem Volk schaden aber nicht ihm (Saddam). Die (von der Baath-Partei) bekommen alles, was sie wollen. Die schlachten ganze Schafe, feiern Feste, fahren große Wagen — alles.

Die schlimmste Zeit war die vor dem 17. Januar war die schlimmste. Weil wir jeden Tag auf den Krieg gewartet haben, wir haben nicht mehr geschlafen, gedacht: jetzt ist nur noch ein Tag, jetzt nur noch Stunden, jetzt nur noch fünf Minuten. Und am 17. Januar, morgens um halb drei hat es wirklich angefangen. Wir haben die Raketen übers Haus fliegen sehen und gehofft, daß es die Regierung treffen würde. Weil wir seit 20 Jahren unter einem Diktator leiden, der uns den ganzen Irak zerstört hat, das ganze Leben, nicht nur die Häuser, nicht nur die Zivilisation — sondern auch das Familienleben.

Und wie sieht heute der Alltag aus?

Die Menschen hungern. Viele Menschen fallen ohnmächtig vor Hunger in den Straßen um. Die staatliche Monatsration reicht höchstens zwei Wochen: anderthalb Kilo Reis pro Person, 1.000 Kalorien insgesamt. Und alles, was reinkommt, ist sehr teuer: 30 Eier kosten über 30 Dinar, ein Kilo Fleisch auch. Eine Büchse Milch 50 Dinar. Damit war mein Gehalt z.B. schon zu Ende, dabei bekam ich als Lehrerin 150 Dinar.

Das wissen die Amerikaner auch, daß das Embargo nur die Leute schwächt. Aber sie wollen damit die Leute gegen ihn aufbringen.

Gab es denn großen Widerstand?

Nach dem Krieg war das Volk wirklich gegen ihn und hatte gehofft, daß Amerika helfen würde, etwas gegen Saddam zu unternehmen. Aber es hat keiner geholfen. Im Gegenteil: er durfte die Helikopter behalten, mit denen er in einem Umkreis von 150 Kilometern um Bagdad fliegen durfte und von wo aus er die Aufständischen beschossen hat. Und die hatten gegen die Helikopter keine Chance.

Im ganzen Süden, in allen Städten und Dörfern war Aufruhr gegen ihn. Ich weiß das von unseren vielen Cousins, von denen einige auch in der Armee waren. Aber auch im Norden gab es Aufruhr und sogar in Tikrit, wo Saddam herkommt. Nur Bagdad hat er unter Kontrolle behalten können. Die Aufstände hatten auch nichts mit Religion zu tun, daß es nur Schiiten oder nur Kurden gewesen wären — nein, das war ein richtiger Volksaufstand gegen Saddam. Die Amerikaner hätten sie nur lassen sollen.

Und jetzt hat er wieder 40.000 junge Männer um sich versammelt - die er bestochen hat, die er mit Geld locken konnte, weil sie so sehr arm sind.

Gab es auch etwas Befreiendes zur Zeit des Aufruhrs?

Ja. Wir haben sogar in den Straßen über ihn geschimpft. Manchmal haben sie aus Angst den Namen nicht gesagt — aber es war klar, wer immer gemeint war: „Dieser mit dem schiefen Mund“, „dieser mit den häßlichen Augen“, „dieser Teufel“ oder „unser Onkel“. Aber diese Zeit der Euphorie dauerte nur eine Woche, wo wir noch glaubten, endlich werden wir sie los. Anfang März, als der Krieg zu Ende war.

Was soll der Westen, was soll die Uno tun?

Wir sind wütend auf die westlichen Länder. Sie haben unser Land zerstört, aber uns Saddam dagelassen. Vor 20 Jahren haben sich die Amerikaner auch bei uns eingemischt und Saddam an die Macht gebracht. Und deshalb denke ich, die Amerikaner sollten sich jetzt wieder einmischen, damit der weg kommt. Das machen sie in anderen Ländern doch auch. Fragen: Barbara Debus