Kein trauriges Wiehern beim Anblick des Filets

■ Ost-Berlins einzige Roßschlachterei in Weißensee/ Früher wurde Pferdefleisch nur von »armen Teufeln« gegessen/ Heute hat man sich soweit kulturell vom Roß entfernt, daß sogar Akademiker abends eine dicke Pferdebockwurst verzehren können

Weißensee. Frau Zwanzig ist unruhig. Sie räumt die Pergamentblätter hin und her. Nein, in die Schlachterei könne man nicht. Die DEFA war früher einmal hier, und dann ist sie umgekippt. Ist eben nicht jedermanns Sache, Pferde auf der Schlachtbank zu sehen. Der kleine Laden in Weißensee ist Ost-Berlins einzige Roßschlachterei. Manchmal kommen drei und vier Pferde am Tage, manchmal auch keine. LPG-Bauern, Gestüte und Rennställe gehören zu den Lieferanten. Der Zoo und Hundebesitzer zu den Abnehmern. Seit der Wende auch Menschen. Die LPG-Bauern bringen manchmal Pferde, die schon auf Schienbeinen laufen. Frau Zwanzig räumt das Packpapier um. Die Tiere tun ihr leid. Ihr Leben lang haben sie gearbeitet, und die Besitzer sind nichts weiter als Schinder. An den Gäulen ist überhaupt nichts mehr dran. Nur noch gut für Hundefutter oder für Raubtiere. Von den Gestüten kommt nur Bruch, wie Frau Zwanzig trocken bemerkt; beste Ware, die sich ein Bein geknickst hat. Aber ansonsten kerngesund. Vor der Wende war das so eine Sache mit dem Pferdefleisch. Es gab zwar Pferde, aber das Fleisch wurde entweder an die Institute abgeliefert oder die NVA holte sich die tiefroten Brocken. Weiß Gott allein wozu. Das gute Vieh wurde in Waggons verfrachtet und ging nach Frankreich. Für Devisen. Der Rest an die Hunde. Der Kauf der Pferde durch die Schlachterei wurde durch den Staat gestützt, und dann wurden auch noch das Fell sowie die Innereien bezahlt. Heute muß die Firma dafür bezahlen, daß das Gelumpe abgeholt wird. Die Firma Zwanzig in Weißensee gibt es seit 1879. Den Laden erst seit 1989. Denn vorher gab es kein Pferdefleisch für den Verkauf. An Kunden mangelt es nicht. Man könnte schon von einer Stammkundschaft sprechen. Die weiß, daß man morgens um acht kommen muß, wenn man Filet oder Rumpsteak haben möchte — das beste am Pferd.

Aber nicht nur Pferde hat die Firma Zwanzig — Vater, Mutter, Sohn — bisher geschlachtet. Ein Zebra mußte sein gestreiftes Fell abgeben. Dann ein Kamel und nicht zu vergessen der Braunbär, der die Kartusche vor die Birne bekam. Die Pferde werden in der Weißenseer Firma lediglich geschlachtet. Zubereitet, wenn man so sagen darf, werden sie in Solingen. Ein langer Weg für ein totes Pferd. Doch so wollen es ominöse Bestimmungen, von denen Frau Zwanzig auch nur zu sagen weiß, daß sie eben so sind. Kein totes Pferd darf nämlich neben einem toten Schwein oder neben einem toten Rind in der Vitrine liegen. Pferde werden getrennt gehalten vom dummen Hausvieh. Und so werden sie auch getrennt geschlachtet und getrennt verarbeitet. Dafür gibt es im alten Bundesgebiet extra Pferdewurstfabriken. Im Osten gab's die nicht. Den oft beschworenen speziellen Geschmack des Pferdefleisches bestreitet Frau Zwanzig. Ein wenig zäh sei es, zugegeben, und müsse daher ein wenig länger kochen.

Pferdefleisch war in der DDR nicht nur nicht existent, sondern auch diskreditiert. Oma und Opa erzählten immer wieder, mit welchem Widerwillen sie nach dem Kriege Pferdefleisch herunterwürgten. So eklig süß und zäh. Und das Gulasch erst. Meine Oma hat mal gebrochen. Pferdefleisch war was für arme Teufel, die zum Nachtisch Rübenpudding aßen und als Beilage Sauerampfer bekamen. Außerdem konnte sich kein Mensch leisten, den teuren Gaul zum Metzger zu schaffen. Als dann die Pferde durch Maschinenausleihstationen abgelöst wurden, hatten alle ein schlechtes Gewissen. Pferd bleibt schließlich Pferd. Doch nun hat man sich soweit kulturell vom Roß entfernt, daß sogar Akademiker zum Abendbrot eine dicke Pferdebockwurst verzehren können, ohne gleich das traurige Wiehern eines edlen Rappen in der Küche zu hören. Handloik