Stimmungsbild für die Landespolitik

■ Am 24. Mai werden zum ersten Mal in Berlin nur die Bezirksparlamente gewählt/ Zukünftiger politischer Stellenwert der Bezirke ist zwischen den Parteien umstritten

Berlin. Der Schöneberger Bezirksbürgermeister Michael Barthel und der Abgeordnete der Grünen/Bündnis 90, Bernd Köppl, würden die Ausnahme gerne zur Regel machen. Am 24. Mai dieses Jahres wählen die Berliner zum ersten Mal und ausnahmsweise ihre Bezirksparlamente, ohne zugleich auch über die Besetzung des Abgeordnetenhauses zu entscheiden. Ein Testfall, meint Barthel, da sich nun erweisen könne, wie ernst »der Bürger« die bezirkliche Interessenvertretung überhaupt nimmt.

Denn jahrzehntelang hat er in West- Berlin quasi automatisch sein Kreuzchen auf dem dritten Wahlzettel gemacht, wenn er seine beiden Stimmen fürs Abgeordnetenhaus abgegeben hatte. Große Abweichungen der Bezirks- von den jeweiligen Landesergebnissen der Parteien waren folglich nur höchst selten zu erkennen.

Sollte die Wahlbeteiligung über 50 Prozent liegen, wäre das für Barthel ein Signal, den Bezirken gegenüber dem Land politisch mehr Gewicht zu geben und, unter anderem, den getrennten Wahltermin zur Dauereinrichtung zu machen. Der Grüne Köppl ist aus prinzipiellen Erwägungen für eine Trennung, hat doch seine Partei schon seit langem die Stärkung der Bezirke als die bürgernahere Form der Verwaltung auf ihre Fahnen geschrieben. Allerdings bräuchten Barthel und Köppl die Zustimmung der CDU zu ihrem Vorhaben, denn nur mit ihr ließe sich die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die entsprechende Verfassungsänderung erzielen. Deren parlamentarischer Geschäftsführer Volker Liepelt ist allerdings »skeptisch, was die Trennung anbelangt«. 50 Prozent Wahlbeteiligung wäre ihm ein bißchen wenig, sagt er, um ihn umzustimmen.

Die Trennung der Wahltermine ist nur ein Faden eines unentwirrbaren Knäules von Überlegungen, die die Parteien, zum Teil seit Jahren, anstellen, um die Verwaltung bürgernäher, kostengünstiger und effektiver zu gestalten. Bislang ohne nennenswerte Resultate. Änderte sich etwas, so waren es zumeist äußere Umstände, die dazu zwangen.

So bei der Trennung der Wahltermine. Sie wurde erforderlich, weil nach der deutschen Einheit Abgeordnetenhaus und Stadtverordnetenversammlung in ein Gesamtberliner Parlament aufgehen sollten. Dies geschah vor gut einem Jahr, am 2.Dezember 1990 — zeitgleich mit den Wahlen zum ersten gesamtdeutschen Bundestag wählten die Berliner ihr erstes gemeinsames Parlament seit Kriegsende.

Ebenfalls ein Resultat des Einigungsprozesses ist eine Änderung, die in West-Berlin zwar schon jahrelang diskutiert, jedoch nie angegangen wurde: das sogenannte politische Bezirksamt. Nach den Wahlen im Mai werden die Bezirksbürgermeister nicht wie bisher automatisch von der stärksten Fraktion gestellt, sondern von der Mehrheit der Bezirksverordneten gewählt. Allerdings nur die Bürgermeister; die Stadtratsposten werden hingegen, wie gehabt, nach Proporz besetzt.

In den Ostbezirken war bereits nach den Wahlen im Mai 1990 bei allen Benennungen die Bildung von Koalitionen möglich. Schon damals galt, was Barthel auch heute mutmaßt: daß die teilweise Einführung des politischen Bezirksamtes »nicht von rein politischen Motiven getragen ist, sondern von der Angst vor einem PDS-Bürgermeister«. Eine Angst, die der SPD-Mann im übrigen für unbegründet erachtet, prophezeit er doch der PDS ein Wahlergebnis, mit dem sie noch nicht einmal einen Stadtrat stellen kann.

Auch das politische Bezirksamt droht, wie der getrennte Wahltermin, eine Ausnahme zu bleiben, denn die CDU möchte bei den nächsten Wahlen Mitte der 90er Jahre am liebsten wieder zu der alten Verteilung der Posten entsprechend der Parteienstärke zurückkehren. Barthel sympathisiert zwar mit der Vorstellung des politischen Bezirksamtes, doch hat die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus erst im September 1991 einem entsprechenden Gesetzesantrag der FDP eine klare Abfuhr erteilt. Die Liberalen wollten, wie auch die Grünen/Bündnis 90, die Bildung von Koalitionen in den Bezirksverordnetenversammlungen ermöglichen, der innenpolitische Sprecher der SPD, Hans-Georg Lorenz, sah darin jedoch einen »politischen Kopffüßler ohne Hals und Rumpf«.

Politische Bezirksämter haben in Lorenz' Augen nur dann einen Sinn, wenn sie auch etwas zu entscheiden haben. Dazu bedürfe es eines finanziellen Spielraumes. Ohne diesen, unkte der Sozi seinerzeit in Richtung FDP, diene das politische Bezirksamt nur dazu, »daß auch Parteien an Stadtratsposten partizipieren, deren Wahlergebnis eine solche Beteiligung nach dem gegenwärtigen Recht nicht ermöglichen«.

Das Zauberwort heißt »Globalsummenzuweisung«. Diese Form der Finanzierung wird derzeit in vier Bezirken in einem Modellversuch erprobt. Dieser Versuch, der noch vom rot-grünen Senat initiiert wurde, läuft bis Ende 1992. Entgegen der bislang üblichen Praxis, wonach das Abgeordnetenhaus jeden einzelnen Personal- und Sachmittelposten auch in den Bezirken kontrolliert, bewilligt und bezahlt, wird diesen vier Bezirken ein Teil des Geldes pauschal überwiesen. Sie können es eigenverantwortlich verteilen. Dieter Rulff

Der zweite Teil des Vorberichts zu den Kommunalwahlen erscheint am kommenden Montag. Bis zu den Wahlen erscheint eine Serie von Artikeln, die sich mit den Problemen und politischen Konstellationen in den einzelnen 23 Berliner Bezirken beschäftigen.