Bringschuld

■ Debatte um Organspenden ist erneut entbrannt

Als am 26. April 1979 im Bundestag der Tagesordnungspunkt „Transplantationsgesetz“ ausgerufen wurde und Bundesjustizminister Jochen Vogel den Entwurf seines Hauses erläuterte, war nicht abzusehen, daß die rechtlichen Voraussetzungen und Bedingungen der Organentnahme auch 13 Jahre später in der Bundesrepublik nicht gelöst sein würden. Damals schieden sich die Geister an der Frage, ob die individuelle Entscheidung durch eine positiv erklärte Einwilligung oder durch einen negativ ausgedrückten Widerspruch erklärt werden solle. Die Kontroverse verlief fraktionsübergreifend und schließlich im Sande.

Seitdem hat die moderne Transplantationsmedizin eine rasante und widerspruchsvolle Entwicklung zurückgelegt. Um so erfolgreicher sie verlief, um so dringender zeigte sich der Bedarf an menschlichen Organen.

Kritische Nachfragen wurden von den Medizinern mit dem Hinweis abgebügelt, man habe keinen Zweifel an seinem Tun. Die Bundesregierung wiederum vermochte noch in ihrer Antwort auf die große Anfrage der Grünen im Bundestag (11/79807980 vom 26. September 1990) das Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung nicht erkennen.

Nun plötzlich hat sich der Wind gedreht. Seit der vergangenen Woche wetteifern die niedersächsische SPD und die Fraktionen im Bundestag in dem Versuch, die Transplantationsfrequenz zu erhöhen. Das heißt: Nicht die Formen des Mißbrauchs, nicht die Kommerzialisierung, nicht der Organhandel, nicht der Hirntod sind Ausgangspunkt einer gesetzlichen Regelung, sondern allein der Bedarf. Sprecher von CDU/ CSU, FDP und SPD erklären öffentlich, daß „jeder Deutsche nach seinem Tod Organe spenden muß“. Diese wohl unzulässige Verkürzung der tatsächlichen Absicht enthält dennoch einen wahren Kern. Eine Spende, die von Staats wegen zu erbringen ist, gegen die ich Widerspruch einzulegen habe, wenn ich sie nicht leisten will, ist wohl kaum mehr als Spende zu bezeichnen, sondern als Bringschuld. Jeder Mensch also ein Organspender, jeder Körper eine Organbank.

Die SPD in Niedersachsen geht noch einen Schritt weiter. Sie verknüpft den Widerspruch mit einem „Vieraugenprinzip“, einer Konsultation zwischen Arzt und Amtsrichter, in der über die Zulässigkeit der Organentnahme dann entschieden werden kann, wenn die Angehörigen in einem „angemessenen Zeitraum“ nicht gefragt werden können. Wozu dann noch das negative Recht des Widerspruchs, wenn unter vier Augen dem Eingriff in meinen Körper schließlich doch stattgegeben werden kann?

Der Rechtspolitiker der FDP- Fraktion, Burkhard Hirsch, vertritt demgegenüber die Ansicht, der Staat habe kein Recht, „über Herz und Nieren seiner Bürger zu verfügen“. Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch. Höchste Zeit, über das Sterben, den Tod, die Organspende öffentlich nachzudenken. Gisela Wuttke