Verwirrtes Chamäleon

■ Primal Scream auf Tournee

Wir waren da. Ein paar andere auch. Der größte Hype, der das Jahr 1991 beschloß, füllte das Berliner Metropol nur leidlich. Pressepräsenz ist eben nicht alles. Vielleicht lag es daran, daß nach all den Platte-des-Monats/Jahres/ Jahrzehnts-Rezensionen, die das letzte Primal-Scream-Werk Screamadelica einheimste, inzwischen nur noch die Rede davon ist, daß die Lorbeeren doch eigentlich unverdient sind.

Anstatt der notorischen Vorgruppe legt DJ Andrew Weatherall auf. Weatherall ist immerhin der DJ des Rave. Kein Club in Manchester, in dem er noch nicht die Turntables bedient hat, keine Band von Rang, die er nicht remixt hat. Dies hier soll ein Rave werden, und das heißt: Tanzt Leute! Aber die tun das nicht. Ein paar schon, aber die meisten warten auf die Band, denn sie sind auf einem Live-Konzert. Dumm nur, daß die Band sich selbst schon längst nicht mehr als solche versteht. Für Primal Scream ist die Bandidee tot, der Live-Auftritt soll nur das Sahnehäubchen sein auf dem großen Tanzen. Die Deutschen verstehen das nicht, die wollen eine Band sehen, die wollen ihr Bier trinken und keine weißen Pülverchen zu sich nehmen.

Also wird gewartet, fast zwei Stunden lang. Und nach vergeblichen Versuchen von Weatherall, so etwas wie Partystimmung zu verursachen, kommen sie dann doch auf die Bühne.

Bobby Gillespie ist sehr, sehr dünn und sehr, sehr weiß, kurz: sehr, sehr britisch. Er verliert keine Worte zwischen den Songs, ist in dem Moment kein Mensch mit einer Persönlichkeit, sondern nur der Eintänzer und Vorsänger einer Gruppe von Personen, die einen Sound personalisieren. Also eher ein klassischer, schwarzer Bandleader, der Leute um sich schart, die seinen Vorstellungen von Musik Gestalt geben.

Es sind acht, die einen unglaublichen Matsch produzieren. Und auch als sich nach einiger Zeit der Brei gefestigt hat, ist es nicht mehr als sehr harter Soul, allerdings eine Art Soul ohne Soul. Von ihrer Vergangenheit als C86-Schrammelband und dem 1990er Aufbruch in Richtung Rock ist nicht mehr geblieben als die leibliche Anwesenheit der beiden Gitarristen, im Sound sind sie runtergemischt. Den wichtigsten Beitrag liefert die schwarze Sängerin. Immer wieder dieselben hohen Gesangslinien, unterstützt von hypnotischen Background-Schleifen vom Band, verschaffen dem Sound einen alles beherrschenden House-Charakter.

Nur noch ahnen läßt sich die versponnene Psychedelic der Platte. Statt dessen führen Primal Scream in einem großen Mansch auf, was Bobby Gillespie die letzten sieben Jahre beschäftigte. Plötzlich sind sie nicht mehr das Chamäleon, das sich an die jeweils herrschenden Strömungen perfekt assimilierte, sondern ein wegen der ständigen Farbwechsel verwirrtes Chamäleon, das beschließt, einfach alles auf einmal darzustellen. Daß dazu kein Bandimage mehr paßt, ist klar. Daß aber in Deutschland auch das Umfunktionieren von Live-Konzerten zu Tanzparties wenig Chancen hat, muß frustrierend sein für die Band. Getanzt wird in den Katakomben von Berlin zu härteren Sounds. to