Die neue Bundeswehr: Flexibel, konzentriert, offensiv

Am vergangenen Wochenende legte die deutsche Militärführung ihre Prioritäten für die 90er Jahre fest. Flexible Eingriffsfähigkeit lautet die Devise — und Einsparungen gibt es weniger als erwartet.  ■ Von Andreas Zumach

Mit ihrer Klausurtagung am letzten Wochenende — der dritten seit November 1991 — hat die politische und militärische Leitung des Bundesverteidigungsministeriums die Rahmenplanung für die künftige Struktur und Ausrüstung der Bundeswehr zunächst einmal abgeschlossen. Fazit: Die sich aus den historischen Veränderungen in Europa und der Sowjetunion ergebende große Chance für grundsätzliche sicherheitspolitische Reformen oder gar für einschneidende Reduzierungen des militärischen Faktors wurde vertan.

Die seit 40 Jahren auf eine potentielle Bedrohung aus Osteuropa ausgerichteten militärischen Fähigkeiten sollen zwar reduziert, jedoch keineswegs aufgegeben werden. Zugleich sind die Planungen stärker als je zuvor ausgerichtet an „neuen Bedrohungen“ von außerhalb Europas sowie des Nato-Vertragsgebietes.

Eingriffsfähigkeit mit kleineren, hochmobilen und flexibel einsetzbaren Verbänden und Waffensystemen lautet die Devise — im Vorgriff auf eine Grundgesetzänderung, mit der die Hardthöhe noch in dieser Legislaturperiode rechnet. Die Überlegungen zur künftigen Rolle der Bundeswehr innerhalb der Nato-Strukturen wurden wesentlich bestimmt von auch im westlichen Bündnis stattfindenden Planungen für „out of area“- Einsätze sowie von der Tatsache, daß die BRD seit der deutschen Vereinigung ohne Einschränkung souverän ist. Für die Kostenseite ergeben sich angesichts dieser Vorgaben zumindest bis Mitte des nächsten Jahrzehnts — wenn überhaupt — nur unwesentliche Erleichterungen. Der am letzten Wochenende genannte Betrag von „Einsparungen“ bei den Rüstungskosten in Höhe von 43,7Milliarden DM ist Augenwischerei. Von einer sich aus den historischen Veränderungen ergebenden „Friedensdividende“ kann auch in der Bundesrepublik zumindest vorläufig nicht die Rede sein.

Mehr Berufssoldaten, weniger Wehrpflichtige

Ernsthafte, konzeptionelle Planungen für eine Neustrukturierung der bundesdeutschen Streitkräfte begannen erst nach der Festlegung ihrer Personalstärke in Friedenszeiten auf 370.000 Bundeswehrsoldaten — der im Zuge der Wiener KSE-Verhandlungen gezahlte Preis für Moskaus Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft Gesamtdeutschlands. Bis 1994 muß der Personalstand von insgesamt 510.000 Bundeswehr- und NVA-Soldaten (November 1990) also um rund 140.000 Mann reduziert werden.

Im Zuge dieser Verringerung ist auch eine deutliche Verschiebung zugunsten von Zeit- und Berufssoldaten vorgesehen. Sie sollen mit 220.000 Mann künftig knapp 60 Prozent der Streitkräfte bilden gegenüber 145.000 Wehrplichtigen. Dazu kommen noch 5.000 Wehrübungsplätze.

Die Stärke der voll mobilisierten Bundeswehr (in Krisen- und Kriegszeiten) soll von ehemals 1,34 Millionen Soldaten über zunächst 950.000 auf 900.000 gesenkt werden.

Das Heer, die größte der drei Teilstreitkräfte, steht auch vor der größten Umstrukturierung. Ihm sollen 1994 noch 255.400 Soldaten angehören. Im Zuge der Veränderung hin zur neuen „Heeresstruktur 5“ wird die bisherige Friedenszeit-Trennung zwischen Feld- und Territorialheer aufgegeben. Die künftige Gliederung sieht zwei Heereskommandos (Nord und Süd) in der Altbundesrepublik sowie ein drittes (Ost) auf dem Gebiet der Ex-DDR vor.

Die „Heeresstruktur 5“ geht von relativ kleinen, hochmobilen Präsenzstreitkräften aus. Sie sollen — wegen der verlängerten Vorwarnzeiten nach dem Zerfall der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) und nun auch der UdSSR — erst im Krisenfall durch dann zu mobilisierende starke „Hauptstreitkräfte“ unterstützt werden. „Kaderung“ und „rascher Aufwuchs“ wurde diese Konzeption zunächst genannt. Später verzichteten die Planer aus Gründen politischer Sensibilität auf das Wort „rasch“.

In der neuen Heeresstruktur sind 28 Brigaden vorgesehen. Sieben davon machen die Präsenzstreitkräfte aus: drei mechanisierte, die Gebirgsjägerbrigade, zwei Luftlandebrigaden sowie die in Böblingen stationierte deutsch-französische Brigade. 19 mechanisierte Brigaden sind in Friedenszeiten nur zu maximal 60 Prozent präsent und für den „raschen Aufwuchs“ in Krisenfällen vorgesehen. Zwei weitere Brigaden existieren in Friedenszeiten praktisch nur auf dem Papier und sollen bei Bedarf voll mobiliert werden können. Hinzu kommen noch zwei „Heimatschutzverbände“.

Fähigkeit zur „Gegenoffensive“

„Wir haben eine Konzeption entwickelt, die bei verringerten Kräften, aber erweitertem Territorium und breiterem Einsatzspektrum auf die hohe Beweglichkeit der Verbände setzt und setzen muß.“ Mit diesen Worten beschreibt Heeresinspekteur Henning von Ondarza die Zielrichtung der Planung. Durch eine sehr hohe Mobilität der Präsenzstreitkräfte verbunden mit Mobilität und großer Schlagkraft der gepanzertern Hauptstreitkräfte sollen „Flexibilität“ und die Fähigkeit zu schneller „Gegenkonzentration“ und „Gegenoffensive“ gesichert werden. Diese offizielle Sprachregelung soll verschleiern, daß die entsprechenden Verbände faktisch die Fähigkeit zur schnellen Konzentration und Offensive besitzen werden.

Nach derzeitiger Planung gibt das Heer im Zuge des jetzt begonnenen Abzuges der atomaren Kurzstreckenwaffen der USA, der 1994 abgeschlossen werden soll, seine Beteiligung an der „nuklearen Teilhabe“ innerhalb der Nato auf. Damit verbleibt die Bundesluftwaffe als einzige Teilstreitkraft mit atomaren Aufgaben.

Das Personal der Luftwaffe wird bis 1994 auf 82.400 Mann reduziert. Gleichzeitig erhält sie eine neue, nach Regionen gegliederte Struktur. Derzeit wird in den fünf neuen Bundesländern eine fünfte Luftwaffendivision aufgebaut. Zwecks „Erhöhung der operativen Flexibilität“ — oberste Planungsdevise für diese Teilstreitkraft — erhalten die Aufklärungs-und Jagdbombergeschwader künftig jeweils eine Doppelrolle als „Gegenangriffskräfte“ beziehungsweise Aufklärungskräfte zugeteilt.

Innerhalb der Luftwaffe gibt es starke Tendenzen, sich möglichst weitgehend an internationalen Verbänden zu beteiligen — etwa an der bisherigen „Allied Mobile Force Luft“ der Nato oder auch an den künftigen „Schnellen Eingreifverbänden“ des Bündnisses. Besonders durch den Golfkrieg fühlt sich die Luftwaffe in ihrer Einschätzung bestätigt, daß den Luftstreitkräften künftig ein „insgesamt höherer Stellenwert zukommt“ und daß „der Einfluß einer starken Gegenangriffskomponente auf die Gesamtkriegsführung, der seit den jüngsten militärischen Auseinandersetzungen noch gewachsen ist, kriegsentscheidend sein kann“ (Luftwaffengeneral Botho Engelein).

Die Zahl der Soldaten der Marine wird bis 1994 auf 32.200 und längerfristig auf 26.200 verringert, unter anderem durch Abgabe eines ganzen Marinefliegergeschwaders mit 45 „Tornado“-Flugzeugen an die Luftwaffe. Künftig hat „das Potential für die offene See Vorrang vor dem Küstenvorfeld“, beschreibt der Stabsabteilungsleiter Planung auf der Hardthöhe, Brigadegeneral Peter Vogler, das Ziel der Neustrukturierung dieser Teilstreitkraft.

„Breite maritime Präsenz“ und „Partizipation an internationalen Ordnungsaufgaben“ lautet das Motto. Die Betonung liege künftig stärker „auf der maritimen Präsenz an den Flanken unseres Bündnisses“. Der bis zum Jahr 2.005 vorgesehene Abbau der Gesamtzahl der Marineschiffe auf etwa 90 soll denn auch im wesentlichen im Ostseeraum erfolgen und betrifft vor allem Minenabwehreinheiten, Schnellboote und kleinere U-Boote. Steigen soll hingegen die Zahl der Fregatten und der — für internationale Einsätze besonders wichtigen — hochseetauglichen Versorgungsschiffe.

Neue Waffensysteme fürs Prestige

Die sich aus diesen Planungen ergebenden Rüstungsbeschaffungswünsche vor allem von Luftwaffe und Marine konnten jedoch zunächst nicht voll befriedigt werden. Bei den am letzten Wochenende getroffenen Entscheidungen im Rahmen des Bundeswehrplanes 1993-2005 setzten sich die Interessen des Heeres in erheblichem Maße durch.

Zwar soll auf die Beschaffung des Jagdpanzers „Panther“ ganz verzichtet werden. Und auch die Einführung des Kampfpanzers „Leopard III“ wurde zunächst einmal gestrichen. Allerdings geschah dies bereits 1984 schon einmal. Dennoch kam das Waffensystem später wieder in die Planung. Und auch jetzt blieben Hintertürchen offen. Denn vorgesehen sind Mittel für die „Modernisierung“ des „Leopard II“, mit dem das Heer zur Zeit ausgerüstet ist. Und im Einzelplan 60 sind weiterhin erheblich Mittel für die Entwicklung einer neuen 140-Millimeter-Kampfpanzerkanone vorgesehen. Auch das einstige Prestigeobjekt deutsch- französischer Rüstungszusammenarbeit, der Panzerabwehrhubschrauber PAH-2, bislang ausschließlich mit der Übermacht östlicher Panzerarmeen begründet, soll auch nach Wegfall dieser Bedrohung angeschafft werden — wenn auch zunächst nur in 138 statt der ursprünglich geplanten 212 Exemplare. Diese Entscheidung geschah vor allem auch mit Rücksicht auf Paris.

Die Marine erhält bis zum Jahr 2.005 statt der ursprünglich vorgesehenen vier Fregatten vom Typ 124 zunächst nur zwei sowie vier von sieben U-Booten vom Typ 212. Es ist davon auszugehen, daß diese jetzt zunächst gestrichenen Systeme im nächsten Bundeswehrplan wieder auftauchen.

Die Luftwaffe erhält zunächst nicht die bislang auf 18 Milliarden Mark kalkulierten 50 großen Transportmaschinen, die nach Meinung der Hardthöhe notwendig sind, damit die für Einsätze außerhalb Europas aufgestellten Einheiten ab 1996 „ihre Aufgaben erfüllen können“.

Aus diesen „Verzichten“ auf Rüstungsprojekte, für die bislang noch gar keine oder nur geringe Anfangsmittel bewilligt waren, errechnete die Hardthöhe die behauptete Einsparung bei der Rüstungsbeschaffung von 43,7 Milliarden DM für den Zeitraum 1993 bis 2005. Die SPD- Verteidigungspolitiker kamen bei ihren Berechnungen auf Einsparungen von lediglich 7,3 Milliarden, das sind rund 550 Millionen pro Jahr.

Nach den jetzt beschlossenen Zahlen will die Hardthöhe in den nächsten zwölf Jahren „nur“ 117 Milliarden für die Beschaffung plus 39 Milliarden für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Bleibt es bei diesen Planungen, betrüge der Etat der Hardthöhe in den kommenden Jahren jeweils mindestens 50 Milliarden Mark — eine Zahl, die bereits über dem Ansatz in der mittelfristigen Finanzplanung der Bundesregierung (48 Milliarden) liegt und nach allen Erfahrungen der Vergangenheit aufgrund der Kosteninflation bei der Rüstung auf weit über 50 Milliarden Mark steigen dürfte. Zumal, wenn die Hardthöhe an der Beschaffung des „Jäger 90“ festhält.