Regierung blockiert Exportkontrolle

Möllemanns Beharren auf Abhörrecht für den Zoll stoppt die eigene Exportgesetz-Novelle/ Exporterfassungssystem Kobra ohne Biß/ Nur ehrliche Verbrecher werden vom Computer geschnappt  ■ Von Thomas Scheuer

Ausdaueraußenminister Hans-Dietrich Genscher, altgedient in Sachen Weltfrieden, mischte verbal mal wieder an vorderster Front mit: Auf einer UNO-Konferenz in Paris warf er sich für ein weltweites Chemiewaffenverbot, zu Hause in Bonn für eine rigide Verschärfung der bundesdeutschen Ausfuhrbestimmungen ins Zeug. Das war Anfang 1989. Wegen der Lieferung einer schlüsselfertigen Giftgasfabrik nach Libyen stand der Exportweltmeister BRD am Pranger. Tatsächlich wurde das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) dezent verschärft. Die Höchststrafe für Verstöße, bis dahin meist als Kavaliersdelikte geahndet, wurde von drei auf fünf Jahre hochgesetzt.

Schon im Spätsommer 1990, Saddam Husseins Truppen waren gerade in Kuwait eingefallen und die Bundesrepublik kam als Hoflieferant des Diktators für Giftgas- und Raketentechnik unter Beschuß, fuhr Genscher erneut schweres Geschütz auf: Schärfste Bestrafung forderte er für Rüstungs- und Technologie-Lieferanten, die „unter Bruch bestehender Gesetze“ Kriegsmaterial an den Golf geliefert hatten. Mit den gerade erst geltenden Paragraphen war das freilich nicht zu bewerkstelligen. Fünf Monate später markierte der frischgebackene Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann wilde Entschlossenheit und legte einen neuen Maßnahmenkatalog gegen illegale Rüstungsexporte vor — weitere Verschärfung des doch eben erst so vorbildlich verschärften Außenwirtschaftsgesetzes inklusive.

Tatsächlich brachte der Minister das erneut verschärfte AWG auch auf den parlamentarischen Weg. Doch im Entwurf war geschickt eine Blockadebestimmung eingebaut: Das Kölner Zollkriminalinstitut soll nach dem Entwurf auf bloßen Verdacht hin die Telefone von Firmen und Geschäftsleuten abhören und in ihrer Post schnüffeln dürfen, ohne Plazet eines Staatsanwaltes oder Richters. Die Opposition sah die Gefahr, daß der Zoll durch solche Praktiken neben Bundesnachrichtendienst, Militärischem Abschirmdienst und Verfassungsschutz zum vierten Geheimdienst gerät. Die SPD legte sich im Bundesrat quer und blockierte mit ihrer Ländermehrheit die Novelle.

Dabei waren Sozialdemokraten und Bündnis 90/Grüne mit allen übrigen AWG-Neuerungen, etwa der Verdoppelung der Höchststrafe für Exportverstöße von fünf auf zehn Jahre, durchaus einverstanden. Die SPD bot an, das ganze Paragraphenpaket unverändert passieren zu lassen, wenn nur die heikle Telefonpassage ausgeklammert werde. Doch weil die Regierung partout auf der strittigen Abhörerlaubnis für die Zollfahnder beharrt, liegt die gesamte Gesetzesnovelle auf Eis.

Zwar hat Möllemann seinen AWG-Vorschlag mittlerweile so umarbeiten lassen, daß der Bundestag in der nächsten Runde einen Einspruch des Bundesrates überstimmen kann. Doch für diesen Fall hat Möllemanns liberaler Parteifreund Peter Caesar, der Mainzer Landesjustizminister, schon eine Klage beim Bundesverfassungsgericht angekündigt. So bald wird also keine einzige Zeile des neuen AWG in Kraft treten; auch jene Passagen nicht, über die quer durch alle Fraktionen Einigkeit herrscht.

Praktiker vermissen in Möllemanns AWG-Neufassung ohnehin ein recht simples, aber womöglich wirkungsvolles Instrument: die Anzeigepflicht für Mitwisser. Während der Planung der Giftgasfabrik für Rabta etwa, so wurde in den Strafprozessen deutlich, dämmerte zahlreichen Mitarbeitern in beteiligten Firmen, Speditionen usw. frühzeitig, das an dem Projekt etwas faul war. Der Mitwisser eines Mordes macht sich, wenn er schweigt, schuldig. Doch wer in einer Firma etwas von illegalen Deals mit Massenvernichtungswaffen mitbekommt und die Klappe hält, riskiert wenig.

Übersehen werde außerdem, daß der größte Teil der deutschen Kriegsartikel höchst legal und offiziell in alle Welt verfrachtet werde. Die Verbreitung von Kriegstechnologie „made in Germany“ wird durch das gesamte wirtschaftspolitische Milieu hierzulande gefördert. Minister Möllemann setzte mit seiner Promotion-Tour in den Iran erst kürzlich wieder deutliche Signale.

Kobra ohne Biß

„Kobra übernimmt“ — unter diesem Titel pries der sonst so kritische 'Spiegel‘ die neueste technische Errungenschaft der deutschen Exportkontrollorgane als „elektronisches Schleppnetz gegen die schmutzigen Händler“. Kobra — das bissige Kürzel steht für „Kontrolle bei der Ausfuhr“ und steht für ein zentrales Computersystem, das die für Genehmigung und Überwachung deutscher Exporte zuständigen Stellen vernetzt. Der Name täuscht. Das Datenverarbeitungssystem Kobra leistet nichts anderes als ein computergestütztes Erfassungssystem für Warenausfuhren. Solche Systeme gehören in anderen europäischen Ländern wie Österreich oder Frankreich längst zum Alltag der Zollabfertigung.

Außerdem ändert das 25 Millionen Mark teure System am Prinzip der Exportkontrolle gar nichts. Das für Exportgenehmigungen zuständige Eschborner Bundesamt für Wirtschaft füttert Kobra mit allen von ihm abgelehnten und genehmigten Exportanträgen. Diese Informationen fließen on line in ein zentrales Rechenzentrum der Bundesfinanzverwaltung in Frankfurt, quasi das Gehirn der Kobra. Von dort können sie vom Zollkriminalinstitut und den Zollfahndungsämtern abgerufen und ausgewertet werden.

Donnert am Grenzübergang Kehl/Straßburg ein Sattelschlepper mit einer Containerladung vor, kann der Zollbeamte vor Ort die standardisierten Ausfuhrdokumente in einen Scanner stecken. Die Daten werden automatisch eingelesen, zum Frankfurter Großrechner geleitet und mit allen erfaßten Ausfuhrerklärungen abgeglichen. Das ZKI, teilweise auch BKA und Geheimdienste, können ferner spezielle Warnhinweise eingeben, so daß ein Zöllner vor Ort etwa sofort verfügbar hat, ob eine bestimmte Ware auf der Embargoliste steht oder nicht. Dem Beamten am Schlagbaum erspart Kobra das Blättern in Aktenordnern und Ausfuhrlisten.

Nun zur Praxis. Da kommt ein Brummi an der Grenze an. Der Zollbeamte steckt seiner Kobra die Ausfuhrpapiere in den Rachen. Darin steht: „Spezialventile für Raketentriebwerke“. Als Empfängerland ist der Irak angegeben. Dann blinkt es auf dem Kobra-Monitor heftig: Embargo — Embargo! Der Technologieschmuggler sitzt in der Falle!

Ein Zollfahnder bringt diese absurde Vorstellung auf den Punkt: „Kobra ist ein Kontrollsystem für die Ehrlichen.“ Doch was, wenn der Exporteur eine „Düngemittelfabrik für Djibuti“ deklariert? „Im Grunde hilft nur eins: öfter mal die Plane runter oder reingucken in die Container“, meint ein alter Ermittlungshase. Kobra mag bei der Erfassung und beim Abgleich von Ausfuhrdaten eine wertvolle technische Hilfe sein. Ein schleppnetzähnliches Kontrollsystem, in dem sich Technologiesöldner und Waffenhändler automatisch verfangen, ist es beileibe nicht. Echte Kontrollen, Stichproben und Überprüfungen, geschweige denn kriminalistische Spürarbeit kann das technische Vieh nicht ersetzen. Zöllner an bundesdeutschen Grenzposten aber sind nach wie vor auf die Kontrolle der Einfuhren, nicht der Ausfuhren fixiert.

Auch um die EG-Kompatibilität des Kobra-Systems steht es schlecht. Einzig mit dem französischen Zollcomputer ist der Datenaustausch möglich — als Einbahnstraße. Die Franzosen können bei Kobra abfragen; die deutschen Zöllner umgekehrt jedoch nicht. Zu guter Letzt leidet Kobra auch im Jahr nach seiner feierlichen Inbetriebnahme durch Bundesfinanzminister Theo Waigel noch an Kinderkrankheiten: Zunächst war die speziell entwickelte Software mit dem gelieferten Betriebssystem nicht kompatibel und mußte neu entwickelt werden. Jetzt gibt es „jeden zweiten Tag einen Absturz“, klagt ein Erfasser. Bilanz eines erfahrenen Ermittlers: „Alles nur Show fürs Publikum. Effektive Erkenntnisse kommen dabei für uns nicht raus.“ Und vor allem: „Kobra hat keine abschreckende Wirkung.“ Bislang jedenfalls ist noch kein Rüstungsschieber über Kobra gestolpert.