Krenz streitet jede Verantwortung ab

■ Das frühere Politbüromitglied Egon Krenz hatte Honecker um „reale Wahlergebnisse“ gebeten/ Viel mehr will er heute als Zeuge im Dresdner Wahlfälschungsprozeß nicht wissen

Dresden (taz) — Als eine Art „vorauseilenden Gehorsams“ und „falsch verstandenen Wettbewerbs“ in den kommunalen Wahlbüros versuchte Egon Krenz im Dresdner Wahlfälschungsprozeß das Zustandekommen von manipulierten Wahlergebnissen darzustellen. Er selbst habe sich „zu Zahlen nie geäußert“.

Krenz, damals Vorsitzender der Zentralen Wahlkommission, berief sich auf einen Brief an Erich Honecker vom 15.April 1989, worin er ihm empfiehlt, ein „bestmögliches, reales Wahlergebnis“ anzustreben. In diesem Brief räumte Krenz auch die Möglichkeit ein, daß besonders in den Großstädten die Wahlbeteiligung gegenüber früher sinken und die Zahl der Gegenstimmen steigen könnte. Krenz empfahl, der „Erwartung aus den Bezirken“ nach „Zielangaben“ diesmal nicht zu entsprechen. Das Schreiben wurde von Honecker noch am selben Tag mit „Einverstanden“ signiert.

Unmittelbar nach den Wahlen hätten sich Krenz zwei Meinungen dargeboten: zum einen, daß die Ergebnisse „geschönt“ seien, und zum anderen die Protokolle aus 227 Kreiswahlbüros. Durch die Zentrale Wahlkommission aber sei weder die Wahl gefälscht noch dazu aufgerufen worden, die Ergebnisse zu manipulieren. Auch die von den Angeklagten Berghofer und Moke zitierte „zentrale Anweisung“, die das „Wahlziel“ verbindlich mit 98 Prozent Beteiligung und 2,51 Prozent Gegenstimmen beschrieb, sei ihm nicht bekannt.

Krenz habe durchaus eine Ahnung von der Stimmung im Lande gehabt, denn „die realsten Berichte kamen von der Staatssicherheit“. Obwohl in einer staatlichen Funktion für die Wahlen zuständig, sei es ihm aber nicht in den Sinn gekommen, die von ihm angeblich angezweifelten Zahlen überprüfen zu lassen. 14 Tage lang, so die Aussage vor dem Gericht, waren die Stimmzettel als objektive Beweismittel noch vorhanden. Dafür, so Krenz, sei die Justiz zuständig gewesen. Eingaben hätten von den örtlichen Organen bearbeitet werden müssen.

Verteidiger Otto Schily bezweifelte, daß Krenz auch die Weisung des 1.Stellvertreters des Generalstaatsanwaltes an alle Staatsanwälte der Bezirke für den Umgang mit BürgerInnen, die das Wahlergebnis anzweifeln, nicht gekannt hat. Darin war die „öffentliche Herabwürdigung des Wahlergebnisses“, mithin jede Nachfrage, als „provokative, rechtswidrige Handlungen“ diffamiert worden. Die Weisung gab auch einen Standardtext vor, mit dem auf „sachliche Eingaben“ geantwortet werden sollte. Ein MfS-Befehl ermächtigte die Dienststellen, „in operativen Vorgängen Personen zu bearbeiten“, die von Wahlfälschung sprachen. Krenz gab an, von Verhaftungen Oppositioneller erst im Juni gehört zu haben, als er zu Besuch bei Lafontaine im Saarland war.

Schily setzte in seiner Argumentation bei dem Wörtchen „real“ an, das Krenz selbst gegenüber Honecker in bezug auf die Wahlen gebrauchte und das auch später in den offiziellen SED-Verlautbarungen auftauchte. Für die greise Partei- und Staatsführung, das wurde auf der gestrigen Verhandlung deutlich, war auch dieses scheinbar mutige „real“ nur ein austauschbares Transparent. dek