Die Telematik und der Humanismus

■ Von Welt, Männern, Frauen, Gott und Göttinnen: Elektroden für ein Lustgefühl bis zum Wahnsinn oder Tod

Der Humanismus ist tot, erklärte Villem Flusser kurz nach seinem Tod in der 'tageszeitung‘. Weil: Die Menschen kann man gar nicht mehr lieben, denn es treten doch viel zu viele auf einem Fleck herum. Weil's so eng wird in unseren Städten, mögen wir ganz schlicht den Menschen an sich auch nicht mehr. Gerade so, als hätten die Inhumanen die Menschen jemals geliebt. Also gut: Gott ist schon lange totgesagt, die Sowjetunion ist auch tot, warum denn nicht auch der Humanismus?

Begraben wir die Sinnfrage gleich mit: Schließlich hat heute alles einen Grund! Den Urgrund aller Gründe hat kürzlich Viola Roggenkamp, ihrerseits bekennende Lesbe, in eben derselben Tageszeitung aufgedeckt: Die patriarchalisch unterdrückende Männergesellschaft ist heterosexuell in ihrer Erscheinungsform, der Quell der ihr innewohnenden Unterdrückungsmechanismen ist gleichwohl homophil, zu deutsch: schwul. Denn, so die alternativdemokratische Bekennerlesbe: »In der heterosexuellen Männergesellschaft werden Männer von Männern aufgebaut, an die Spitze gestellt, verehrt, bewundert, finanziert, protegiert, angehimmelt, geliebt.«

Tja, da hätten wir's also, nix mit Ellenbogen! Hier wird an die Spitze geschmust. Nix Materialismus! Das tägliche Fressenmüssen ist nur eine Erfindung schnöder Heteros, die ihre tägliche Ersatzbefriedigung brauchen. Mit dieser subtilen Dialektik des esoterisch herausbeförderten, sozusagen ge-mega-outeten, Sexualgedankens müssen die Triebkräfte der historischen Entwicklung neu geschrieben werden. Wir datieren den Nullpunkt der neuen Geschichtsschreibung mit der Erfindung der Fortpflanzung des Menschen durch den Menschen. Wäre es nach der Vorstellung des ersten Homos — war Göttin Lesbe? — gegangen, hätten wir die Nummer mit der Rippe beliebig oft wiederholt. Nach diesem Modell gäbe es heute nur Frauen wie Eva. Alle aus einer Rippe, wozu noch Herrn Adam?

Da nun aber die heterosexuelle Triebkraft des Herrn Adam die Geschichte voranbumste, mußten die Frauen bis zur Erfindung der sogenannten Pille warten. Es wäre eine böse Geschichtsklitterung, die Firma Schering ob ihres Pillenvertriebs zu verdammen! Wir können den Wendepunkt der historischen Entwicklung nach Veilchen Roggenkamp mit der ersten Volks-Ausgabe der Pille datieren. Wir leben nunmehr im Jahr 30 nach Scherings Pillengeburt. Die Zeit bis dahin vollzog sich in mehreren Etappen.

Die Urgesellschaft der Heteros kennt das ökologische Gleichgewicht. Bären fressen Menschen und Honig. Frauen sammeln Beeren und Männer tanzen mit Wölfen. Nachdem sich die Menschheit mit Hilfe ökonomischer Knappheitsprobleme aus dem ökologischen Gleichgewicht befreit hatten, begannen wir mit der Sklavenwirtschaft. Als sie zum Reichtum geführt hatte, zupften die Herrscher den Sklaven die Barthaare aus, damit die schwulen Sklaven eine frauengleiche Pfirsichhaut erhielten. Mann wollte die subtile Dialektik der Geschichte am Bart des Sklaven fühlen.

Trotz allerlei Rippenbrüchen im sogenannten Kolosseum zu Rom ging die Sklaverei unter, wenn sie sich auch in Ansätzen bis heute gehalten hat. Es folgte die Leibeigenschaft, eine mildere Form der Sklaverei. Der Rippenbruch im Kolosseum wurde durch die mittelalterliche Folter und Hexenverbrennung ersetzt, die Quälerei des Barthaarzupfens durch das »Recht der ersten Nacht«. Dies verhalf der unmoralischen Heterosexualität zum Durchbruch. In der Folge praktizierten nur noch die moralischen Priester des rechten Glaubens in ihrem Zölibat die einzig wahre Schwulität. Dennoch geriet das System ins Wanken. Gerüchten zufolge lag dies an den Produktionsbedingungen, was aber durch das Fortleben des Zölibats widerlegt werden kann.

Heute entäußern die Menschen nur noch ihre Arbeitskraft, was ihnen mit der freien Geschlechtswahl versüßt wird. Das Ende dieser Unzeit datieren wir, wie schon gesagt, mit der Erfindung der Heilandin Pille und ihren heftigsten Konkurrenten Kondom, Pessar oder Spirale. Sie entbinden die Menschheit von dem Wahn, der in der heteromännlichen Massenvernichtungswaffe steckt. Wir erledigen die Weltbevölkerungspolitik seitdem mit humaneren Mitteln als mit der Guillotine oder dem Zyklon B.

Die zwangsweise Verabreichung der Pille erfolgt vornehmlich in armen Regionen, die bedauerlicherweise dem Hunger ausgesetzt sind. Das ist aus historischer Sicht ein Fortschritt, entbindet es uns doch von dem Dilemma der Entschädigungszahlungen nach zu erwartender Absetzung der Zwangsbepillung, wie wir es noch von der Zwangssterilisation des faschistischen Regimes in Deutschland her kennen.

Einziger Ausweg aus diesem Dilemma ist die Verhütung von Männern. Für deren Befriedigung weiß der eingangs zitierte Telematik- Guru Flusser einen Ausweg. Man lege Elektroden an diejenigen Stellen seines Gehirns, die ihm das Lustgefühl suggerieren. Man könne den Strom auf ein Maß erhöhen, bis er vor Lust sterbe. Das habe man bei Ratten ausprobiert. Zwar verzichtet die moderne Psychiatrie inzwischen auf Elektroschocks mit Todesfolge zur Behandlung von Depressionen oder Schizophrenie, aber zur Errettung der Menschheit möge das Mittel gestattet sein.

Außerdem können sich die Homophilen von vornherein von jeder Schuld freisprechen. Denn es ist seit einigen Jahrzehnten durchaus üblich, menschliche Gehirne durch dauerhafte Berieselung mit elektromagnetischen Wellen zu steuern. Vermutete schädliche Folgewirkungen können nicht wissenschaftlich exakt nachgewiesen werden und sind somit nicht justitiabel. Das liegt an der humanen Dosierung der Elektroschocks, die mit der Wirkung des Wassers verglichen werden kann: Ein Mensch kann in mehreren Kubikmetern Wasser ertränkt werden, was als fahrlässige Tötung, Mord oder Totschlag gewertet wird. Man kann wesentlich größere Mengen Wasser auf einen längeren Zeitraum verteilen, so daß jede Sekunde nur ein kleiner Tropfen auf den Kopf der betreffenden Person fällt. Man wendet dieses Verfahren als Foltermethode an. Die Person stirbt nicht sofort, sondern gegebenenfalls an Wahnsinn, allerdings kann keine kausale Verbindung zwischen Tropfen und Tod gezogen werden, denn alles Leben ist vergänglich. Wir empfehlen, einige männliche Rippen kryozukonservieren, bevor die Heterosexualität endgültig ausgerottet ist. Christian Sternberg