Rosen für die Frauen in Schwarz

■ Dreimal Heiliges Land: Szenen- und Gruppenwechsel einer Reise nach Israel.

Dreimal Heiliges Land: Szenen- und Gruppenwechsel einer Reise nach Israel.

VONROSWITHAVONBENDA

„Fährt der Bus durch die Westbank?“ fragt mich die junge Deutsche an der Haltestelle. Ich weiß es nicht, und die beiden Araberinnen, die mit uns auf den Bus nach Jerusalem warten, wissen es auch nicht. Der Bus kommt. Er wird durch die Westbank fahren, denke ich, denn die ersten drei Reihen sind besetzt mit Soldaten. Kurz vor der Grenze steigt noch ein Trupp dazu, drängt sich durch den Gang, einer rammt mir den Gewehrlauf in die Rippen — entschuldigt sich.

Es ist keine sichtbare Grenze, doch eine spürbare. Die Anspannung wächst, die Soldaten laden ihre Gewehre durch, sitzen da in Lauerstellung. Kurz vor Jenin passieren wir einen Militärposten. Auf dem geräumten arabischen Haus steht in großen Lettern aufgesprüht: „Good morning Jenin“ und „Fuck the System“. Auf dem Dach ein Soldat, der mit dem Fernglas unsere Fahrt verfolgt. Sabine, die jungen Deutsche, kommt aus dem Kibbuz, dort hat sie drei Monate als Volontärin verbracht. „Total abgeschirmt von dem, was da so im Land abläuft“, sagt sie. Bevor sie nach Hause fährt, will sie das wirkliche Israel erleben. Fahr ja nicht durch die Westbank, hatte man sie gewarnt, und jetzt ist ihr ein bißchen mulmig zumute.

Der Bus windet sich durch das hügelige Bergland Samarias, biblisches Land, in das sich die Siedler festkrallen. In klotzigen Wehrburgen thronen sie oben auf den Bergen Samarias, hoch über den arabischen Dörfern, die sich, wie um Schutz suchend, an die Hügel ducken. Wir fahren sie an, die Siedlungen, eine nach der anderen, Stacheldraht-Gettos, hinter denen schwer bewacht die Kinder spielen. In Nablus hält der Bus vor einem Gefängnis. Frauen in palästinensischer Tracht sitzen davor. Eine droht dem Bus mit der Faust hinterher. Die Straße ist kurvenreich, atemberaubend der Blick von einer der Anhöhen über das grüne Hügelland. Im Schatten der Olivenbäume grasen die Schafe und Ziegen der Araber.

In Jerusalem holt mich der politische Alltag ein. Kein Taxi will mich vom Busbahnhof in Westjerusalem nach Ostjerusalem fahren. Zu den Arabern? Kopfschütteln und Durchstarten sind eins. Ein verirrtes arabisches Taxi kommt vorbei, erbarmt sich meiner und profitiert von der Situation.

Badeausflug und politische Gespräche

Im orientalischen Pilgrims Palace Hotel zwischen Damaskus- und Herodestor wohnt die Gruppe, der ich mich für die nächste Woche anschließe. Junge Deutsche, die Israel als kritische Beobachter erleben wollen. Auf dem Programm stehen daher, neben einem Badeausflug zum Toten Meer und einer Wanderung durch die bizarren Schluchten eines Wadis, Gespräche mit Friedensaktivisten auf beiden Seiten der verfeindeten Lager. Sie treffen Ali in der Greendoor Pizzeria inmitten der moslemischen Altstadt. Bizarres Szenario. Um den riesigen Backofen herum hocken auf durchhängenden Plüschsofas Palästinenser neben jungen TouristInnen. In einem ausrangierten Eisschrank hat sich eine Katzenfamilie eingerichtet. Als zwei Soldaten die Stufen herunterkommen, zuckt Ali zusammen. Aber die wollen nur Pizza, arabische Pizza mit Ei, Käse und vielen Kräutern. Ali erzählt, daß er manchmal bis zu fünfmal kontrolliert wird auf seinem Weg durch die Altstadt. „Da kommt jedesmal eine unbändige Wut auf.“ Er appelliert an das Verständnis der Deutschen, nicht jeden Akt der Gewalt von vornherein zu verurteilen, sondern die Verzweiflung zu sehen, die die Tat ausgelöst hat. Das fällt den Deutschen schwer. Sie kommen fast alle aus dem Friedenslager. Auch daß man über die Hinrichtung eines „gefährlichen Kollaborateurs“ froh ist, wie sie es in Bethlehem erleben, weil er viele Menschen in Gefahr brachte, schockiert die Deutschen, und sie müssen zugeben, daß dieser Konflikt vielschichtiger und schwieriger ist, als von Deutschland aus gesehen.

Mit israelischen Friedensaktivisten fahren sie in ein arabisches Dorf bei Haifa. Die Bewohner von Ramya sollen ihr Dorf räumen, das 1976 zu Staatsland erklärt wurde, ohne daß die israelischen Behörden sie davon unterrichteten. Russische Immigranten sollen hier angesiedelt werden. Die Deutschen fühlen sich solidarisch mit den ungerecht behandelten Palästinensern und mit jenen Israelis, die mit einer Menschenkette gegen das Unrecht protestieren. „Es ist unheimlich frustrierend, daß man da überhaupt nichts tun kann“, sagt Ute.

Am nächsten Tag Alltag der Intifada. Auf ihrem Weg zu einem Flüchtlingslager werden sie von einer Militärpatrouille aufgehalten. Ausgangssperre! Zu Fuß schleichen sie querfeldein zum Flüchtlingslager. „Das Programm wird von den politischen Gegebenheiten bestimmt“, sagt Fuad H., der Reiseleiter aus München — von den Streiks der Palästinenser und den Ausgangssperren der Israelis. Nach dem Rundgang durch das Lager und dem Besuch einer neuen Krankenstation folgt man den Einladungen in die Familien. Orientalische Köstlichkeiten werden aufgetragen, daß sich die Tische biegen, die Nachbarinnen haben mitgekocht. Man redet über die Situation, und die Palästinenser sind froh, daß man ihnen zuhört.

Am Freitagnachmittag dann die Frauen in Schwarz, „israelisches Gewissen“ gegen die Besatzung. Sie sind inzwischen fester Programmpunkt alternativer Reisen. Auch Pilgergruppen erscheinen hin und wieder, die „guten Israelis“ zu besichtigen. „Bewundernswert“ findet sie ein Pfarrer aus Berlin, und er verteilt Rosen an die Frauen. Willi aus der Gruppe reicht seine Wasserflasche herum.

Auf der anderen Seite militante Siedler, die Front machen gegen die „Huren Arafats“, wie sie sie auf ihren Transparenten nennen. Antje geht hinüber. Man muß doch auch mit denen reden, ihre Motive kennenlernen. Sie versucht zaghaft ein Gespräch. Doch als der Mann, den sie anspricht, erfährt, woher sie kommt, hält er ihr seine KZ-Nummer vors Gesicht und spuckt ihr aufs T-Shirt. Antje ist geschockt, und sie heult den ganzen Rückweg. Damit hatte sie nicht gerechnet, der Vergangenheit auf diese Weise zu begegnen.

Strahlende Gesichter und ein Jesus-liebt-auch-dich

Szenen- und Gruppenwechsel. In einem deutschen Pilgerhaus treffe ich Jutta aus Ost-Berlin. Sie hat ihre Wohnung in Prenzlauer Berg aufgegeben, um sich einen Traum zu erfüllen: eine Reise nach Israel. „Und jetzt bin ick hier und kannet noch gar nich fassen.“ Ihre Pilgergruppe ist international, vereint in der Liebe zu Israel und dem auserwählten Volk. Virginia aus Washington, Ben aus Ohio und all die frommen Skandinavier. Sei begrüßen sich mit „Halleluja“, auf ihren Gesichtern ein Leuchten und Strahlen, als wären sie gerade auf der Treppe dem Messias begegnet. „Christen für Israel“ nennen sie sich, und auf ihrem Programm steht als erstes ein Picknick in der Wüste zwischen den Bergen Judäas und dem Toten Meer, dort wo sich Jesus ein vierzigtägiges Fasten auferlegte. Viertausend sind sie dieses Mal, oder mehr, und sie ziehen durch die Straßen Jerusalems und rufen den Juden zu: „Jesus loves you.“ Doch das kommt bei den Juden nicht so an. Die Deutschen verteilen schwarzrotgoldene Fähnchen und deutsche Sahnebonbons, auch die kommen nicht an, sie sind nicht koscher. Da wird Jerusalem gepriesen vor Sonnenuntergang und auf dem Berg des Bösen Rates, dort wo, Zufall oder nicht, auch die UNO sitzt. Und immer wieder in ihren Gottesdiensten wird der Heilige Geist herabbeschworen, besonders auf Premier Schamir, doch um Himmels willen hart zu bleiben und keinen Millimeter biblischen Bodens aufzugeben. Im stillen Garten der britischen Protestanten, in dem das alternative Grab Jesu, das sogenannte Gartengrab, liegt, fallen sie busweise ein und singen ihre Lobpreisungen. „Jesus liebt auch dich“, flüstert eine Frau einem Araber zu, der draußen auf der Kühlerhaube seines Autos eine Kamelherde aus Olivenholz anbietet. Von Liebe wird er nicht satt. Kaufen tut niemand etwas, nicht bei den Arabern, „die wollen doch den Juden immer nur Böses“.

Im Eiltempo durchs sehenswerte Jerusalem

Auch der Guide, der seine Schiffstouristen durch die Altstadt hetzt, warnt vor den Arabern. „Alles Geld geht an die PLO.“ Er hat seine Schafe fest im Griff. Gekauft wird nur dort, wo der Bus hält, und der hält nur, wo es kein Ausweichen gibt. Sie kamen mit der Minikreuzfahrt mal schnell rüber von Zypern. Für „One Day Holyland“ haben sie ihren Strandurlaub unterbrochen, um zwischendurch mal einen auf Bildung zu machen. Heiligestättenmäßig angezogen und die Videokamera mit neuem Film gefüttert, fallen sie in Jerusalem ein. Die Klagemauer wird besucht und die Via Dolorosa abmarschiert — „paßt auf eure Handtaschen auf!“. Immer dicht hinter dem Fremdenführer her und dem hochgehaltenen Schild „Princesa Marissa5“, so heißt das Schiff. In der Grabeskirche begegnet man „Princesa Marissa4“, die gerade am Salbungsstein vorbei zum Grab ziehen, und oben auf Golgota verbaut die englische Gruppe die Stelle, wo Jesus gekreuzigt wurde. Es folgen Stationen 12, 13, 14. „Das Grab ist leer, nichts zu sehen, das war's dann. Alles klar?“ Dann geht's im Eiltempo nach Bethlehem, wo man endlich ein Restaurant ansteuert. Nach dem Essen kurz rein in die Geburtskirche. „Beeilt euch, Leute, die Diamantenfabrik steht noch auf dem Programm.“ Erschöpft und alle Filme abgedreht, erreicht man das Schiff. Schnell die fromme Kluft abgestreift und dann rein ins Vergnügen und richtig Urlaub gemacht. Aber die bis an die Zähne bewaffneten Soldaten in Bethlehem, die sind auf den Film gebannt, auch der Araber mit seinem Palästinensertuch. Alles so hautnah erlebt. So was sieht mann/frau ja sonst nur im Fernsehen. „Die Ein- Tages-Touren laufen immer, auch in Krisenzeiten“, sagt der Guide. Manchmal stünden 50 Busse am Hafen von Haifa. Und die Leute kaufen wie verrückt: Kamele, Rosenkränze, Diamanten — „denn wer weiß, wann man mal wieder ins Heilige Land kommt — und ob überhaupt. Sollen die doch erst mal Frieden machen, da unten.“

Israel ist kein gewöhnliches Ferienland. Nur Eilat, Tel Aviv, Netanya, Tiberias sind Touristenzentren, wie man sie überall erlebt, mit Hotelkästen, Strand, Sonne, Disco. Im Heiligen Land der Pilger, in Jerusalem und der Westbank, erlebt der Fremde politische Realität, wird er zwangsläufig Zeuge von Gewalt, Demütigung, Unterdrückung. Oft gerät er zwischen Fronten, manchmal wird er sogar zum Opfer. Immer versuchen beide, Juden wie Araber, die Ausländer auf ihre Seite zu ziehen. Touristen wie Pilgern fällt es meist schwer, sich eine kritische Distanz zu Israel/Palästina, dem Heiligen Land, wie immer man es nennt, zu bewahren.

Roswitha von Benda ist die Autorin des Taschenbuches Dieses Land pack ich nicht — Junge Deutsche in Israel und der Westbank; erschienen in der Beck'schen Reihe.