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Prag über Bonner Zögern verärgert

Linke Oppositionsparteien stellen den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag in Frage/ Hoffnung auf wirtschaftliche Förderung überwiegt kritische Stimmen in der Prager Regierung  ■ Aus Prag Sabine Herre

Der deutsch-tschechoslowakische Vertrag ist zum Thema des Wahlkampfes der CSFR geworden. Fünf linke und nationalistische Parteien forderten in einer gemeinsamen Erklärung eine erneute Diskussion des bereits im Oktober 1991 paraphierten Vertragstextes. Außerdem sollten „begleitende Dokumente“ formuliert werden. Ratifizieren könnte das Prager Parlament den endgültigen Vertrag wohl erst nach den nächsten Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres.

Mit diesen Forderungen erreicht die innenpolitische Diskussion über den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag einen neuen Höhepunkt. Bereits in den vergangenen Wochen hatten die Medien des Landes aufmerksam jede deutsche Äußerung über notwendige Änderungen und Zusatzdokumente verfolgt. Mit steter Regelmäßigkeit waren diese Forderungen von den Mitgliedern der Föderalregierung entschieden zurückgewiesen worden. Innerhalb des politischen Spektrums der CSFR hatten sich bald jedoch zwei unterschiedliche Positionen abgezeichnet. Dabei wiesen die Regierungsparteien, die der FDP nahestehende „Bürgerbewegung“ und die von der CDU unterstützte „Bürgerlich-demokratische Partei“, auf die wirtschaftliche und historische Bedeutung des Vertrages hin. Als eines der wichtigsten Argumente wurde die Hilfe, die die Bundesrepublik der CSFR bei ihrer Eingliederung in die Europäische Gemeinschaft leisten sollte, angeführt.

Die Gegner des Vertrages, allen voran die Kommunistische Partei, kritsierten dagegen das ihrer Ansicht nach zu weitgehende Entgegenkommen der Föderalregierung. Abgelehnt wurde, daß der bisher verwendete Begriff der „Aussiedlung“ in der Diskussion und im Vertragstext durch Vertreibung ersetzt worden war. Mit wiederholten Reportagen über Sudetendeutsche, die in ihrer „alten Heimat“ rücksichtlos in ihre ehemaligen Häuser „eindringen“, wurden von der ehemaligen KP-Zeitung 'Rude pravo‘ gezielt alte Angstgefühle zu neuem Leben erweckt. Obwohl es solche Vorfälle tatsächlich gab, haben sie die Atmosphäre in den Grenzbereichen nicht im erwarteten Ausmaß belastet. Vielmehr gelten gerade die sogenannten „Euroregionen“ zwischen Sachsen, Bayern und Böhmen als wirtschaftlich besonders florierende Gebiete, die Arbeitslosenquote zählt zu den niedrigsten im Land.

Und so wies der Kommentator der führenden Prager Tageszeitung 'Mlada fronta‘ dann auch mit Nachdruck darauf hin, daß die wirtschaftliche Zusammenarbeit wichtiger als der bloße Vertrag sei. Die Grenzregionen sollten sich beim Ausbau ihrer Kontakte nicht durch den innenpolitischen Streit in den Hauptstädten behindern lassen.

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