In Berlin wurde gestern die Grüne Woche eröffnet: Der Trend zum Leasing-Huhn
■ 300 Eier im Jahr und ein Huhn im Topf für 99 Mark - das ist nur einer der Versuche der Bauern, mit der aus Bonn empfohlenen "Nischenproduktion" ihre...
Der Trend zum Leasing-Huhn 300 Eier im Jahr und ein Huhn im Topf für 99 Mark — das ist nur einer der Versuche der Bauern, mit der aus Bonn empfohlenen „Nischenproduktion“ ihre Existenz zu sichern. Die Bauern aus den neuen Bundesländern, die Chancengleichheit und mehr finanzielle Hilfe fordern, wagten gestern nur einen vorsichtigen Protest.
Die schwarzweiße Liese guckt genauso sanft wie die gute Kuh von nebenan. Gerade als ob sie das Plakat unter dem Dach in der Halle25 der 57.Internationalen Grünen Woche am Berliner Funkturm gelesen hätte. Es propagiert die „Freundliche Tierhaltung“. Überhaupt ist alles hier freilaufend, artgerecht, ökologisch, ohne Konservierungsstoffe und sehr gesund für Mensch und Tier. Die Ferkel schlummern selig, die weißen Puten picken und kollern, die Rinder blicken direkt auf einen Stand mit runden Schinken und Würsten. Dazwischen bieten die Geflügelzüchter das Miet- Huhn, genannt „Leasing-Huhn“ an. Rent a Federvieh für 99Mark im Jahr. Dafür kann der Kunde 300 Eier in die Pfanne hauen und am Ende des Jahres noch „sein“ numeriertes Geflügel dazu. Und das — noch so ein Zauberwort — in Direktvermarktung. Vorsichtigere Landwirte setzen derzeit angesichts von EG und Gatt zusätzlich auf den Tourismus: „Ferien auf dem Bauernhof“ mit dem „kinderlieben Pony“. Was für ein Urlaubsglück.
Die Faust, die vor allem die Bauern in den neuen Bundesländern im Vorfeld der Landwirtschaftsschau geballt hatten, blieb gestern morgen bei der Eröffnung in der Tasche. Nur rund 200 waren zur Protestveranstaltung, gegen die Agrarpolitik der EG im allgemeinen und die Misere der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern im besonderen, gekommen. 2.000 hatte der Bauernverband erwartet. Die Demonstranten überreichten Landwirtschaftsminister Ignaz Kiechle eine Resolution, in der sie Chancengleichheit, mehr Geld für „Wiedereinrichter“, also Betriebsneugründungen, und niedrigere Zinsen für Kredite forderten. Die kleine Schar tröstete sich mit der Hoffnung auf die Proteste vor Ort. In Sachsen-Anhalt klappte das tatsächlich. Bauern entzündeten Mahnfeuer entlang der Autobahn.
Als die Redner der Bauernverbände ihrem Ärger zwei Stunden später vor besetzter Tribüne verhalten Luft machten, war der Minister längst anderweitig unterwegs und hatte nur seinen Staatssekretär Scholz zurückgelassen. Der Präsident des Bauernverbandes, Röpke, aus Mecklenburg-Vorpommern wollte sich nicht in die falsche Ecke stellen lassen: „Wir sind nicht hier, um Krawall zu machen! Wir sind keine Fußball-Hooligans!“ Er könne ja auch verstehen, daß der Minister „mit den internationalen Gästen“ unterwegs sei. Aber, das müsse mal gesagt werden, „auch wir sind deutsche Bauern!“ Unterschiedliche Preise und Entwicklungen in den alten und den neuen Bundesländern dürfe es nicht geben. Und dann wird er doch deutlicher: „Die Treuhand ist die zarteste Versuchung, seit es Plünderungen gibt.“ Vor dem Rednerpult liegt eine Erntekrone. Sie stammt von einem stillgelegten Hof in Pommern und soll, zerzaustes Symbol, am 27.Januar zur EG nach Brüssel gebracht werden. Das einzige kleine Transparent im Saal ist vieldeutig zu interpretieren: „Mach's gut, Ignaz!“
Hinter vorgehaltener Hand maulen die „Wessis“, daß „denen in der DDR“ doch zur Zeit „aus Bonn der Würfelzucker hochkant in den Hintern geblasen wird“. Da kann sie auch die Bauernregel von Röpke nicht versöhnen: „Man darf den Korn nicht über die Flinte gießen!“
Ignaz Kiechle eilt inzwischen schon längst durch die Hallen23 und 22, nippt hier, nascht da, schluckt auch noch eine Instant-Suppe aus Magdeburg. Ein Fleischerzeuger aus Brandenburg fleht die ministerielle Referentin geradezu an, ob „der Herr Minister nicht eine Minute Zeit hat, zum Stand gleich um die Ecke nebenan“ zu kommen. Hat er nicht. Kiechle dirigiert seinen eiligen Troß mit großer Armbewegung in Richtung der Ausstellungshalle der USA, läßt sich ein Ale einlaufen und prostet Oberbürgermeister Diepgen zu. Dann läßt er sich, oh Schmach für Brandenburgs Fleischerzeuger, auch noch eine saftige Scheibe vom amerikanischen Rinderbraten abschneiden.
Der bei den Bauern zurückgelassene Staatssekretär Scholz versucht die Gemüter zu beruhigen. Ein Bauer aus der Priegnitz bringt ihm seine Sorgen nahe. 130 Hektar Land hat er, ist „Wiedereinrichter“ mit „Milchquote“. Das alles nützt ihm gar nichts: Er hat keinen Stall und kein Vieh. Die Äcker liegen weit auseinander, die Straßen sind schlecht, eine Zufahrt ist gerade von der Bundesbahn geschlossen worden. „Ja, ja“, weiß der studierte Diplomlandwirt Scholz, der es allen recht machen will, „das ist schwer.“ Die West- Bauern hätten aber auch hohe Schulden und neideten denen im Osten die großen Betriebe. Die wiederum werden mit ihren Anfangsschulden nicht fertig, denn, erklärt ihnen Scholz: „Ihr habt eben kein Eigenkapital.“ Und: „Einen Rat kann ich Ihnen auch nicht geben.“ Andere Betriebe setzen auf die „Nischen“, von den ein Bauer grimmig sagt: „Wer sich in die Nische setzt, zieht sich zurück!“ Ein Betrieb in der Nähe von Leipzig züchtet Störe. Die Edelfische, verrät ein junger Mann mit stilechter Fischkrawatte, fühlen sich wohl in der Abwärme der Braunkohlekraftwerke. Sie schwimmen in aufgeheizten „Rinnenanlagen“. Sehr appetitlich hört sich das nicht an. Er versichert aber, daß sauberes „Brunnenwasser“ verwendet werde. Sorgen in ihrer Nische haben auch die Schafzüchter aus den neuen Ländern, die früher billig an die Handelsketten nach Westberlin lieferten. Milch und Joghurt „gehen“ ebenfalls nicht gut. Die Handelsketten wollen, trotz der „günstigen Ladenpreise“, kaum etwas abnehmen: „Das Eis ist nicht gebrochen.“ Das weiß auch die Kaffeefirma nebenan. Den „weniger guten Kaffee“ aus Laos und Vietnam importieren sie nicht mehr, aber das und die neue Verpackung nützen so wenig wie die neue „Geschäftsidee“, zweimal 250 Gramm in einem Paket. Den „Fertigpuffern“ aus Sachsen und dem, ungleich appetitlicheren, Baumkuchen aus Salzwedel — Tradition seit 1820 — mag es nicht besser gehen.
Aussteller aus 64 Ländern sind auf das 85.000 Quadratmeter große Gelände gekommen. Rußland und Lettland sind zum ersten Mal dabei — die Letten mit Fisch. Rußland bietet am kahlen Stand Kaviar, Sekt und Wodka an. Die mit einer Art rosa Fleischsalat belegten Schnittchen erweisen sich als Krebsfleisch „Chatka“. Daß in den niederländischen Treibhäusern außer Tomaten auch blaue Trauben und Erdbeeren gezogen werden, ist ebenso überraschend wie das Weinangebot aus Sachsen. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) fördert den Anbau und die Vermarktung von „Bio-Gewürz“ aus Sansibar. Die Welt ist weit: grüner Spargel aus Ecuador, Ingwer von den Fiji-Inseln, Grillkohle und Straußeneier aus Namibia. Von dort können auch lebende Strauße bezogen werden. Am Stand von Barbados gibt es Brotfrucht-Chips und Pawpaw. Der Name der großen, grünen Baumfrucht läßt sich nicht übersetzen, sie schmeckt trotzdem, zum Beispiel in Longdrinks und als Dessert. Auch die Frucht Tut, die wie eine kleine, schmale Brombeere aussieht, verrät ein Iraner, wächst in seiner Heimat auf Bäumen und wird getrocknet angeboten. China präsentiert sich mit Wein, Schnaps und Nudeln auf einem roten Teppich. Aber nichts kann so exotisch sein wie die Berliner Leib- und Magenspeise, Quark mit Leinöl, für einen Bayern. Heide Platen, Berlin
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