Auferstehung live im ehemaligen Backofen

■ Dario Fos »Mistero Buffo« (»Kleine Wunder«) in den neuen Räumen des Freien Schauspiels: Ein Meisterwerk der kleinen Form

Mit einem Schmankerl der besonderen Art eröffnet das Freie Schauspiel seine zweite Bühne in den Kellerräumen des Theaters in der Neuköllner Pflügerstraße. Dario Fos Mistero Buffo, zu deutsch »Kleine Wunder«, sind groteske Monologe aus dem Mittelalter, die den italienischen Autor zu Recht schlagartig berühmt machten. Dario Fo, der Meister der linken Komödie, läßt auch hier weder an Komik noch an Anarchie zu wünschen übrig.

Ein mittelalterlicher Spielmann entführt uns in eine Welt der frommen Mysterien und Wunder, als Jesus noch in jeder Ecke zu treffen war und man einer Auferstehung live beiwohnen konnte. Die Geschichten sind witzig gebrochen und im Kern eher revolutionär als christlich zu nennen. In vier Szenen geht es immer um die kleinen Leute bei den großen Wundern und oft genug um ihren Ärger mit den »hohen Herren«. Bei der »Auferstehung des Lazarus'« etwa drängeln sie sich am Grab und geben qualifizierte und unqualifizierte Kommentare ab. »Den kriegt er nicht mehr hin!« und »Diesmal haben sie ihn reingelegt!« heißt es angesichts der völlig verwurmten Leiche. Dazwischen werden Sardinen und Klappstühle angeboten, ganz wie im wirklichen Leben.

Ein kleines Wunder vollbringt auch der Hauptdarsteller Frank Bokemeyer. In einem grandiosen Solo verkörpert er sämtliche Gestalten der Geschichten und läßt sie ohne Bühnenbild und Requisiten plastisch vor den Augen der Zuschauer entstehen. Sieben Personen sind es allein in der Auferstehungsgeschichte, die nahtlos ohne Bruch miteinander agieren. Die Figuren sind urkomisch: So verwandelt er sich bei der »Hochzeit von Kanaa« abwechselnd in einen tuntigen Engel und einen grandiosen Säufer.

Auch »Die Moritat vom Blinden und vom Lahmen« erzählt von einem seltsamen Paar. Der Blinde trägt den Lahmen, und zu ihrem Pech treffen sie auf Jesus, der im Vorübergehen eine kleine Wunderheilung an ihnen vollbringt. Während der Blinde bald glücklich über sein Augenlicht ist, verflucht der Lahme seine Heilung, verliert er doch damit das Vorrecht, bei hohen Herren zu betteln und zu schnorren. Wie der junge Schauspieler Frank Bokemeyer abwechselnd den Lahmen oben und den Blinden unten spielt, ist ein Glanzstück und weist ihn als einen Verwandlungskünstler ersten Ranges aus.

Einzige Mittel in dem unterhaltsamen Spiel sind Pantomime und Stimme. Mistero Buffo, von Andreas Wobig temporeich inszeniert, dauert nur eine Stunde, und die hält das Publikum überaus kurzweilig und amüsant in atemloser Spannung. Für das Freie Schauspiel ist »Mistero Buffo« nach Mama hat den besten Shit im Jahre 1985 der zweite Treffer mit einem Dario-Fo-Stück. Damals erzeugte die winzige Bühne des Zimmertheaters die überaus passende Wohnküchenatmosphäre, in der das Ganze spielt.

Mit der Eröffnung der Kellerräume wird aus dem oberen Minitheater und Wunder an Bespielbarkeit stolz eine »Hauptbühne«. Die Bezeichnung »Gewölbe« für den unteren Raum trifft tatsächlich zu. Der Zuschauerraum für etwa zwanzig Personen ist die ehemalige Backstube der früheren Bäckerei, und das tunnelartig gemauerte Gewölbe in der Mitte stellt den Rest des alten Backofens dar.

Deshalb ist der Keller für Berliner Verhältnisse geradezu außergewöhnlich warm und trocken. Gespielt und gesessen wird im vorderen Teil der ehemaligen Backstube: der riesige Backofen bildet, geheimnisvoll ausgeleuchtet und anheimelnd zugleich, den rückwärtigen Teil der Bühne. Das alte Gemäuer paßt hervorragend zu der mittelalterlichen Atmosphäre von Mistero Buffo. Das Freie Schauspiel beweist mit seiner jüngsten und wirklich sehenswerten Inszenierung im Keller einmal mehr, daß es Meister der kleinen Form ist. Sabine Rutkowski

Mistero Buffo von Dario Fo wird von Freitag bis Dienstag jeweils um 20.30 Uhr gespielt. Freies Schauspiel, Pflügerstraße 3, Neukölln, (Telefon: 6924672).