Die Wattepuster von Königs Wusterhausen

■ Eine zufällige Begegnung der atemberaubenden Art. Unser Reporter entdeckte am Rande Berlins eine Sportart, die aus Protest gegen die Staatspartei entstand. Von einem Spiel, bei dem ihm die Luft ausging, berichtet Peter Huth

Neulich in Königs Wusterhausen. Ich bin in einer Kneipe mit drei Neubürgern verabredet und etwas zu früh dran. Während ich warte, kommt der Wirt ins Reden. Als er vor vier Jahren die Kneipe übernahm, waren die drei schon da. Sie spielten etwa alle zwei Monate ihre Meisterschaften aus. Zwischenzeitlich haben bis zu neun Teams um den Titel gekämpft. Sogar einer von der örtlichen Parteileitung hat mitgespielt. Das, obwohl das Ganze ja während eines Besäufnisses entstanden ist, bei dem es zu einer Auseinandersetzung um die ständige Gängelei des örtlichen Fußballklubs durch die Partei gekommen war.

Stan war der Fußballtrainer von Vorwärts Traktor Königs Wusterhausen und mußte als Linksaußen immer wieder den Erwin Gschonnek aufstellen. Nicht, weil er keinen besseren hatte, sondern weil der in der Parteileitung saß. Irgendwann, das war so gegen Ende der siebziger Jahre, war dann für Stan das Maß voll. Bei jenem Besäufnis kündigte er an, daß er wegen dieser Parteiein- und angriffe sein Traineramt niederlegen und eine Sportart entwickeln werde, die so absurd ist, daß die Partei es als peinlich empfinden würde, von so was überhaupt Notiz zu nehmen. Der Gschonnek war damals wohl aufgestanden und hatte gesagt: »Stan, du bist doch ein alter Schaumschläger!« »Nee«, hatte da der Stan zurückgeschrien, »kein Schaumschläger! Ein Wattepuster!«

So entstand in Königs Wusterhausen das Wattepusten. Nach der Wende löste sich das Ganze recht schnell auf. Die meisten jüngeren Leute wanderten in den Westen ab. Und weil das jetzt wohl zu Ende geht mit der Wattepusterei, haben die drei bei der Presse angerufen, um noch mal auf etwas Aussterbendes aufmerksam zu machen.

Mittlerweile waren Stan, Olli und Hardy eingetroffen, hatten jeder ein Bier geschlürft und der Erzählung des Wirtes zustimmend gelauscht. Die drei begrüßten mich per Handschlag und zogen mich gleich in den Nebenraum der Kneipe. Olli baute zwei Tore an den beiden Kopfseiten des Billardtisches auf und befestigte sie mit Klemmen am Tisch. Latte, Querlatte und Pfosten waren aus Rundhölzern gearbeit und mit einem Netz überspannt. »Pro Team drei Spieler«, erklärte mir Stan. »Rechtsaußen und Linksaußen. Dazu ein Torwart, der auch als defensiver Mittelfeldpuster operiert.

Ein Wattebausch von zweieinhalb Zentimetern Durchmesser wurde auf den Mittelpunkt plaziert. Dann legten die drei los, daß mir schwindelig wurde. Olli als Torwart pustete den Bausch so elegant an, daß er zwanzig Zentimeter fast senkrecht in die Höhe sprang. Kurz bevor die Watte aufs Spielfeld zurückfiel, wurde sie von Stan und Hardy aufgenommen. Beide hielten oder, besser, pusteten sie knapp über der Spielfläche in Schlangenbewegungen auf Ollies Tor zu. Der Wattebausch wurde kurz vorm rechten Strafraumeck fallengelassen und mit einem Gewaltpuster von Stan im Tor versenkt.

Diesmal ein Anstoß von Stan, recht hoch, daß ihn Hardy aufnehmen kann, der dann den Wattebausch ähnlich dem Kopfball auf einer Luftsäule auf- und abtanzen läßt. Butterweich läßt er ihn von seiner Nase abtropfen. Stan nimmt den Bausch direkt aus der Luft und will ihn im Bogen über den Keeper hinwegheben. Doch diesmal ist Olli mit dem Torwart rechtzeitig in der Ecke. Sobald der Torwart den Ball abgewehrt hat, wird das Spiel unterbrochen und Abstoß gegeben.

Die drei zeigten mir noch verschiedene Standardsituationen wie Eckstoß auf das kurze oder lange Eck. Phantastisch, der links angehauchte, direkt verwandelte Eckstoß. Direkter und indirekter Freistoß und effektives Konterspiel wurden vorgeführt.

So recht wollte ich es doch nicht glauben, was ich da an filigraner Pustetechnik gesehen hatte. Ich vermutete irgendwo einen Faden und massive Verarschung. Zumal mir bei meinen Pusteversuchen bestenfalls eine Katschetechnik bescheinigt werden konnte und mir bereits nach wenigen Minuten die Puste ausging. Die von drei Herren behauptete Spielzeit von fünfzehn Minuten erscheint mir noch heute unglaublich. Aber da war kein Faden, kein Trick. Immer wenn ich die Hand zwischen Puster und Watte brachte, fiel der Wattebausch zu Boden.

Stan, Olli und Hardy suchen Nachwuchs. Wer also Interesse am Wattepusten hat — auch Schaulustige werden nicht verjagt —, der sollte sich mittwochs gegen 20.00 Uhr nach Königs Wusterhausen in die Wasserklause gleich neben dem Wasserschloß begeben.