Ost-West: Schwierige Beziehungskiste

Berlin. Antworten auf drängende Fragen werden selten auf einem Tablett serviert. Schon gar nicht, wenn man es mit Psychotherapeuten zu tun hat. Doch trotz dieser bekannten Weisheit empörten sich einige Zuhörer am vergangenen Freitag abend in der Humboldt-Universität darüber, daß sie zum Selberdenken aufgefordert wurden.

Das Dilemma unserer Zeit — die Ablenkung vom wahren Leben

Erwartet hatten sie wohl die brave Auflistung der »psychosozialen Folgen der deutschen Vereinigung«, wie das Motto der Veranstaltung lautete, zu der die Grünen in die Humboldt- Universität geladen hatten.

Aber so einfach haben es Hans-Joachim Maaz aus Halle und Michael Lukas Moeller aus Frankfurt/Main den rund 500 Zuhörern nicht gemacht. Sie legten vielmehr tieferliegende psychische Ursachen für die Probleme unserer Gegenwart — und Vergangenheit — dar und boten psychologische Erklärungsansätze dazu an. Denn: »Wozu sollen wir, weil wir Experten sind, bloße Beschreibung liefern von etwas, was schon alle aus eigener Erfahrung wissen?«

»Die Ablenkung vom wahren Leben, das Nicht-bei-sich-selbst-Sein« sei das eigentliche Dilemma unserer Zeit, darüber waren sich die beiden einig. Jeder zeige sich mißtrauisch und spiele Rollen. Grundsätzlich gelte für die neue »Paar-Beziehung« zwischen Ost- und West-Deutschland, daß sie noch gar keine echte Beziehung sei, wie es Moeller einfach ausdrückte. Das Leid des anderen mitzutragen, ist von daher schon unmöglich.

Gerade die Ostdeutschen sind seiner Meinung nach dreifach belastet: durch die unbewältigte Vergangenheit, die überwältigende Gegenwart sowie die Angst vor der Zukunft.

Besonders durch die neuen Gehaltsunterschiede sei, so Moeller, das vom Westen oft beneidete Beziehungsgeflecht im Osten stark erschüttert worden. Die seelische Veränderungsarbeit liege dort um ein Vielfaches höher als im Westen. Der Westdeutsche sehe sich dagegen durch den Vereinigungsprozeß wenig veranlaßt, sich selbst noch einmal in Frage zu stellen. Eine Annäherung findet folglich nicht statt.

Aber nicht nur das Gespräch zwischen den einstigen Teilen Deutschlands funktioniert (noch) nicht. So stellt Maaz im Osten Tendenzen der »Veroberflächlichung« fest. Keiner wolle mehr zuhören, jeder sei gänzlich eingetaucht in die neue Konsumfülle, beklagt er.

Daher lautet auch die Forderung der beiden Experten, daß die Menschen mehr Zwiesprache mit anderen halten sollten. Das könne dann wenigstens im persönlichen Umfeld die seelische Not lindern. Ansonsten würden die inneren Probleme immer mehr auf äußere, materielle verlagert.

Beim Publikum blieben trotz der Empfehlung viele Fragen offen. Dafür wurden die Zuhörer mit allerlei Anregungen entlassen. Zu guter Letzt auch von Gesprächsleiterin Georgia Tornow: »Wir können im Moment eine Verschiedenheit erfahren, die schließlich auch befruchten kann.« sos