ZWISCHEN DEN RILLEN VONTHOMASGROSS

Ganz wohl ist ihnen offenbar nicht bei der Sache, den beiden Gründersöhnen und Talent- Scouts des Hamburger Independent-Labels L'Age D'Or. „Deutschland hat zehn neue Verräterbands“, kommentierten sie ihren Wechsel zur „Industrie“ in vorauseilendem Sarkasmus. Und tatsächlich: Auch wenn der Geldsegen in weiter Ferne liegt und die Karriere erst einmal nur von der Besenkammer zum Kellerbüro vorangeschritten ist — Carol von Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge müssen sich für ihren Vertrag mit der ortsansässigen Polydor jetzt schon so manche Anfeindung gefallen lassen. Independent-Hörer sind nun mal die Autonomen des Rock 'n' Roll. Auch für sie gilt die Faustregel: Je kleiner die Gemeinde, desto unverbrüchlicher die Moral.

Zweifelhaft oder zumindest zwiespältig erscheint da die Ehre, als eine der zehn zitierten „Verräterbands“ die erste L'Age-D'Or-LP im Major Label-Vertrieb herausbringen zu dürfen — von dem Erwartungsdruck, der aus der wechselbedingten Veröffentlichungspause von einem halben Jahr entstanden ist, einmal ganz zu schweigen.

Getroffen hat es die sechs Freunde von der Gruppe mit dem fulminanten, übrigens aus Vor- Mauerfallzeiten stammenden Namen Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs. Um es gleich vorwegzunehmen: Wer sich ein anzuprangerndes „kommerzielles“ Coming-out erhofft oder befürchtet hat, wird von Absolut nicht frei enttäuscht sein. Schon das Cover ist mehr als unspektakulär. In gediegenem Dilettantismus gezeichnete Comic-Figuren stürmen etwas ziellos dem Betrachter entgegen, als kämen sie direkt aus den Untiefen der siebziger Jahre, Buntstiftschraffuren und Ölgekrakeltes verstärken den Eindruck leicht anachronistischer Heimwerkelei. Bloß auf der Rückseite rechts unten, gleich neben dem „Made in Germany“, ist es in kleinen Versalien zu lesen: im Vertrieb der Polydor/Polygram.

Nein, von geglätteter Kommerzästhetik kann keine Rede sein, auch nicht in puncto Musik. Vom ersten Ton an rumpelt das recht proberaummäßig daher. Zart verstimmt die Instrumente, größtenteils Gitarren, bis zu Stücker drei auf einmal, denen vom tapferen Schrummschrumm über Orffsches Pizzikato bis hin zum echten Heavy-Riff allerhand Sound entlockt wird. Karg übt sich der Baß. Das Schlagzeug wechselt mitten im Takt den Rhythmus. Zappa? Deep Purple? Incredible String Band? Keine Ahnung, worauf das hinauswill. Trotz des Eindrucks großer Konzentriertheit und Repertoirefestigkeit scheint die Band eher gegen- als miteinander zu spielen. Man bäckt alles Mögliche in freudvoll unübersichtlichen Formen zusammen, ergötzt sich am Ergebnis. Die Gitarren kosten die Dissonanzen aus, die entstehen, wenn auf- und absteigende Läufe gegeneinander antreten (avantgardistisch!), das Schlagzeug jagt wie entfesselt durch die Kulissen. Darüber von jedem anbiedernden Blendwerk befreite, oft virtuos reizlose Melodien nebst Texten, die vor kaum etwas zurückschrecken. Der abendländische Dualismus von Körper und Seele wird genauso kritisch hinterfragt wie der sich jährende Golfkrieg mahnend beleuchtet („Ever since old Shah man left, the Middle East was insecure...“), ein Gedicht von Georg Heym ähnlich verwurstet („Der Städte Schultern knacken“, etc.) wie ein Song von John Lennon („Healthiness is a proud gun“).

Das Ganze einfach untalentiert zu finden, hieße jedoch, es sich entschieden zu einfach zu machen. Interessiert, ja nach einer Weile fast schon gebannt, horcht man auf die musikalischen Taten dieser Suppenwürfelband, vollzieht mit, wie unter dem Ansturm ihrer Hände selbst das Bekannteste sich ins Fremde, Vage, gleichsam Undefinierte zurückverwandelt. Das Flamenco-Riff am Anfang von Dandruff Zone zum Beispiel— ist es in seiner enigmatischen Holzschnittartigkeit nicht Lichtjahre von jeder Spanien-Folklore entfernt? Fragt sich bloß, warum. Ich habe es schon bei ihrer ersten LP nicht ganz verstanden, wie so etwas zustande kommt, aber es muß mit der subtilen Bandchemie der ehemaligen Blankeneser Gymnasiasten zu tun haben: Man kungelt rum, brütet in seinem jugendlich- studentischen Fischkopp; technisches Unvermögen tut ein Übriges. Diese Musik ist vollkommen naiv und vollkommen ausgedacht zugleich. Sie nimmt Phrasen ernst und umgibt sie mit dem Schmelz anarchisch engagierten Ensemblespiels.

Gut oder schlecht, das ist gar nicht mehr so recht die Frage für so was. Deshalb war es für L'Age D'Or vielleicht doch ein Glücksgriff, ausgerechnet mit Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs bei Polydor zu starten. Die Band verkörpert nicht am besten, aber vielleicht am reinsten die auf Eigenständigkeit und skurrile, notfalls auch ein wenig peinliche Abseitigkeit bedachte Label-Ästhetik. In Blues, nach Gelb gefleckt dem einzigen deutsch gesungenen Lied, scheinen OZSWMK sogar eine lyrische Formulierung dafür gefunden zu haben: „Blindheit, uncool, Schabernack/Partyschelm und Siegerpack/ hasch mich, hasch mich...“

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs: „Absolut nicht frei“ (L'Age D'Or/Polydor)

„HASCHMICH,HASCHMICH“—DIEERSTEL'AGE-D'OR-PLATTEBEIMAJOR