Die Zensur setzte an der Quelle an

Im Golfkrieg waren die Medien blind/ Grenada und Panama waren die Generalprobe  ■ Von Bernhard Pötter

Der Kormoran hatte keine Chance. Zäher Ölschlick verklebte ihm das Gefieder. Der Vogel versuchte, aus dem Öl zu fliehen, kam nicht los und ging qualvoll unter. Die Bilder vom Kormoran im Öl gingen um die Welt und wurden zum Symbol des Medienkrieges am Golf. Nach einer Woche „sauberer“ Kriegsführung war er das erste sterbende Lebewesen auf dem Bildschirm. Sterbende Menschen ließ die Zensur nicht zu.

Doch der Kormoran war eine Ente. Denn der Film war ein Propagandabluff der Alliierten, ein Archivfilm, der den Öko-Terroristen Saddam Hussein überführen sollte, noch bevor das Öl aus Kuwait die saudischen Strände erreicht hatte. Die Medien in aller Welt fielen auf den Trick herein. Der Tod des Kormorans verdeutlichte die Hilflosigkeit und Gedankenlosigkeit der Medien gegenüber der Manipulation durch die Militärs. Nach dem Krieg wurde deutlich, wie wichtig Manipulation für die alliierte Strategie gewesen war. Der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, US-General Norman Schwarzkopf, erhob die JournalistInnen zu ehrenamtlichen Hilfstruppen, als er ihnen für die Hilfe im Kampf gegen den Irak dankte. Durch gezielte Manipulation der Medien war den Irakis die Unbesiegbarkeit der alliierten Truppen und ein Landungsmanöver an der Küste Kuwaits vorgetäuscht worden. Die JournalistInnen der Pools waren immer wieder an denselben Frontabschnitt gebracht worden und hatten die saudisch-irakische Grenze nicht zu Gesicht bekommen.

Die „ground rules“ des Pentagon unterbanden Berichte über Stärke, Einsatzort und Kämpfe der alliierten Truppen und ließen nur Raum für allgemeine Informationen und das Widerkäuen der offiziellen Verlautbarungen. Die Truppen richteten eigene „Media Pools“ ein, kleine Gruppen von JournalistInnen, die unter ständiger Militäraufsicht arbeiteten. Was sie sahen und hörten, schrieben und filmten, wurde vom Joint Information Bureau (JIB) in Dhahran zensiert, um es danach allen etwa 1.300 in Saudi-Arabien akkreditierten JournalistInnen zugänglich zu machen. Wer sich auf eigene Faust vorwagte, der riskierte sein Leben und den Entzug der Akkreditierung. Amerikaner, Briten und Franzosen besetzten ihre Pools fast ausschließlich mit KorrespondentInnen aus ihren Ländern. Die wenigen „internationalen“ Poolplätze waren schwer zu ergattern; Das ARD- Team stand auf Platz 58 der Warteliste. Nach der Devise „keine Truppen — keine Poolbeteiligung“ sahen deutsche JournalistInnen in die Röhre — und die hieß CNN.

ARD und ZDF ließen ihre ZuschauerInnen zu Beginn des Krieges in der letzten Reihe sitzen. In den Studios herrschte Verwirrung, die Leitungen brachen zusammen, Meldungen des Pentagon wurden für bare Münze genommen. Später kamen die zensierten Bilder aus Bagdad, Dhahran und Tel Aviv, und die Berichte wurden vorsichtiger und kritischer. Schließlich folgten die öffentlich-rechtlichen Sender den Privaten und übernahmen die (ebenfalls zensierten) Bilder von CNN. Die deutschen Bilder zum Golfkrieg waren vor allem Friedensdemonstrationen und Diskussionen um Giftgasexporte, weit weniger schon die Rolle der Bundesrepublik als Zahlmeister, Waffenlieferant und Drehscheibe für den US-Nachschub. Da der Golfkrieg größtenteils ein amerikanischer Krieg war, wirkte die amerikanische Restriktion der Presse auf alle Medien. Durch die Abhängigkeit vom amerikanisch dominierten Weltinformationssystem litt die ganze Welt darunter.

Militär und Regierung hatten die Pressefreiheit, eine heilige Kuh in der amerikanischen Tradition von Demokratie, öffentlich geschlachtet— scheintot war sie aber schon seit der amerikanischen Intervention in Grenada 1983. Dort hatte das Militär die JournalistInnen von der Aktion völlig ferngehalten, weil es die „Lektion von Vietnam“ gelernt hatte. Amerikanische Kriegsberichterstatter hatten bis zum Vietnamkrieg immer mit der Zensur gelebt. Vietnam dagegen war der erste und einzige „unzensierte Krieg“. Für JournalistInnen gab es keine offiziellen Beschränkungen außer der Verpflichtung, über Militäraktionen nicht vorzeitig zu berichten. Der „Wohnzimmerkrieg“ des Fernsehens, die allabendliche blutige Realität von sterbenden und tötenden Soldaten, führte in den USA mit anderen Faktoren zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung gegen den Krieg. Die Militärs lasteten die Schuld an der Niederlage den Medien an. Dean Rusk, Außenminister zu Zeiten des Vietnamkrieges, stellte rückblickend fest: „So etwas wöchentlich, täglich, stündlich im Fernsehen zu sehen, schafft spezielle Probleme. In unserem nächsten Krieg wird der Kongreß zu entscheiden haben, wie wir von Anfang an mit der Zensur umgehen sollen.“

Der nächste Krieg war die amerikanische Intervention auf der kleinen Karibikinsel Grenada am 25.Oktober 1983. Bei internen Unruhen in dem marxistischen Inselstaat hatte eine Junta den Premierminister Maurice Bishop und seine Minister und Vertrauten ermordet. Vorgeblich aus Besorgnis um die etwa 1.000 AmerikanerInnen auf der Insel und auf Ersuchen der Nachbarstaaten ergriff die Reagan-Administration die günstige Gelegenheit, einen Pfeiler des „marxistischen Dreiecks“ Kuba/ Nicaragua/Grenada zu beseitigen: 6.000 GIs besetzten die Insel nach dreitägigen Kämpfen. „Operation Urgent Fury“ war eine Niederlage für die US-Medien. Anders als in Vietnam gab es für die Presse beim Angriff auf Grenada angeblich keine Plätze in Flugzeugen oder Schiffen des Militärs. Als die JournalistInnen selbst Boote charterten, wurden sie auf hoher See von Kriegsschiffen aufgebracht oder von tieffliegenden Jets zum Abdrehen gezwungen. Vizeadmiral Joseph Metcalf, Kommandeur der Operation, drohte: „Ich weiß, wie man diese Presseboote stoppt. Wir haben sie beschossen. Bisher haben wir noch keins versenkt, aber wie sollen wir wissen, wer drauf ist?“ Reporter, die trotzdem nach Grenada gelangt waren, wurden von der Truppe auf einen Flugzeugträger gebracht und unter Verschluß gehalten. Am dritten Tag schließlich, als die Kämpfe fast vorüber waren, flog das Pentagon einen Pool von 15 JournalistInnen für kurze Zeit nach Grenada. Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte hatte das Militär in Grenada die totale Zugangskontrolle, die es erlaubte, bereits die Informationssammlung der Medien zu dirigieren.

Verteidigungsminister Weinberger nannte drei Gründe für diesen Ausschluß: JournalistInnen könnten keine militärischen Geheimnisse bewahren, in Schiffen und Flugzeugen sei kein Platz frei für ReporterInnen, und die Regierung könne die Sicherheit der JournalistInnen nicht garantieren. Die Medien waren erbost. Sie beriefen sich auf die Pressefreiheit, die im ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung garantiert wird. Dabei erlitten die Medien nach der „Niederlage“ in Grenada zwei weitere Schlappen zu Hause. In Leserbriefen und Telefonanrufen machten die AmerikanerInnen ihren Medien klar, daß ihnen Geheimhaltung bei Militäraktionen wichtiger sei als unabhängige Berichterstattung. Die „Glaubwürdigkeitslücke“, die während des Vietnamkrieges zwischen dem Volk und der politisch-militärischen Führung geklafft hatte, zeigte sich 1983 zwischen den Medien und ihrem Publikum; die AmerikanerInnen schenkten im Zweifel lieber ihrer Regierung Glauben als den Medien.

Die zweite Niederlage erlitten die Medien vor Gericht. Der Herausgeber des 'Hustler‘-Magazins, Larry Flint, brachte die Politik der Zugangsverweigerung vor den District Court in Washington. Das Bundesgericht nahm die Klage jedoch nicht zur Entscheidung an, weil der Fall bei seiner Verhandlung im Juni 1984 längst erledigt und eine Wiederholung der Situation nicht zu vermuten sei. Das Signal war deutlich: keine Einmischung der Gerichte in die außenpolitischen Kompetenzen des Präsidenten (mit einer fast identischen Begründung wurde auch die Klage von neun Presseorganisationen gegen die Pools am Golf abgelehnt). Im Frühjahr 1984 setzte das Pentagon eine Kommission ein, die Vorschläge für eine „Zusammenarbeit von Medien und Militär bei zukünftigen Konflikten“ machen sollte. Die „Sidle-Kommission“ gab die Empfehlung, den größtmöglichen Grad an Öffentlichkeit durch Medienpools zu garantieren, diese aber nach der ersten Phase der Kämpfe schnell zugunsten der allgemeinen Berichterstattung aufzulösen.

Das Pentagon übernahm damit die Kompetenz für Alarmierung, Besetzung und Einsatz des Pools. Die Medien stimmten dem Poolsystem zögernd zu, weil sie sich damit erneut einen Zugang zu Militäraktionen versprachen. Beim ersten wirklichen Test zeigte der Pool, daß diese Hoffnungen getrogen hatten. Als am 20.Dezember 1989 etwa 25.000 amerikanische SoldatInnen in Panama einmarschierten, um den lange von Washington gestützten Diktator Noriega zu stürzen, war kein/e US- JournalistIn am Ort des Geschehens. Der Medienpool erreichte Panama erst, als die meisten Kämpfe bereits vorüber waren. Die JournalistInnen wurden nicht zu den Schauplätzen der Kämpfe zugelassen, sondern mit Informationen der Militärs und Besichtigungen von Noriegas Häusern abgespeist.

Der Pool ist eben keineswegs ein Mittel, um den Medien Zugang zu Militäraktionen zu geben. Im Gegenteil benutzten die US-Militärs in Panama und am Golf das Poolsystem, um die Medien zu manipulieren und von den Kämpfen fernzuhalten. Dabei wurden nicht nur Berichte während des Krieges unterdrückt, sondern die Zugangsverweigerung zu bestimmten Gebieten verhinderte auch nachträgliche Enthüllungen; die Massaker der US-Armee im vietnamesischen My Lai etwa wären im Poolsystem kaum ans Licht gekommen.

Das Poolsystem in Panama und am Golf operierte unter ähnlichen Voraussetzungen: Das Militär hatte die völlige Kontrolle über den Ort des Geschehens und damit die Kontrolle über Nachrichten von diesem Ort. Die Medien waren daher auf das Militär bei Transport und Kommunikation angewiesen. Die große Nachfrage nach TV-Bildern befriedigte das Militär durch eigene Filme: Videos von lasergesteuerten Bomben waren interessanter als die Bilder der Reporter. Die scharfe Medienkonkurrenz verhinderte ebenso ein gemeinsames Vorgehen oder Verweigern gegenüber der Manipulation, wie die Verflechtung von amerikanischen Medien und Rüstungsindustrie eine wirklich kritische Berichterstattung nicht zuließ (siehe taz vom 4.1. 92). Die amerikanische Bevölkerung akzeptierte die Zensur. Laut 'New York Times‘ vom 31.Januar 1991 zeigten Umfragen, daß 79 Prozent militärische Zensur im Krieg für eine „gute Idee“ hielten.

Während die USA und die Alliierten ihren High-Tech-Krieg durch ausgeklügelte Manipulationen verkauften, herrschte im Irak konventionelle Zensur. Professionelle Neugier konnte den Kopf kosten. Farzad Bazoft, Reporter der britischen Zeitung 'Observer‘, war 1990 im Irak als Spion verurteilt und hingerichtet worden. Andere Reporter wurden in der „Republik der Angst“ festgehalten und mißhandelt. Westliche Journalisten in Bagdad wurden nach Beginn des Krieges mit Ausnahme von Peter Arnett von CNN und einem Spanier, Alfonso Rojo, ausgewiesen und mußten erneut Visa beantragen. Sie durften sich nicht ohne Aufpasser in der Stadt bewegen und keine Berichte über militärische Einrichtungen absetzen. Alle Berichte unterlagen der Zensur. Vor allem CNN wurde zu irakischer Propaganda gebraucht, um Geiseln oder kriegsgefangene Piloten vorzuführen oder die Bombenschäden an „Milchfabriken“ oder zivilen Bunkern zu demonstrieren. In seinem Buch Live aus Bagdad beschreibt der Leiter des CNN-Studios Bagdad, Robert Wiener, die Arbeit unter Zensur. Mal gelang es, die Oberzensorin bei der fraglichen Stelle abzulenken, ein anderes Mal riß sie beim Überspielen verbotenen Materials schlicht den Stecker aus der Wand.