Entsetzen über IRA-Anschlag

Sieben Tote bei Bombe gegen Bus mit Bauarbeitern/ Die Anschlagserie gegen „Kollaborateure“ der britischen Armee hat bisher 26 Opfer gefordert/ Nordirland-Minister auf dem Schleudersitz  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Der Anschlag der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) am Freitag hat in Nordirland, das im vergangenen halben Jahr eine verheerende Eskalation der Gewalt erlebt hat, lähmendes Entsetzen ausgelöst. Ein Minibus mit 14 protestantischen Bauarbeitern, die sich nach Reparaturarbeiten in einer britischen Kaserne auf dem Heimweg befanden, wurde durch eine ferngezündete Bombe auf einer Landstraße bei Cookstown in der Grafschaft Tyrone in die Luft gesprengt. Sieben Arbeiter kamen ums Leben, die anderen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Selbst Sympathisanten und Mitglieder Sinn Feins, des politischen Flügels der IRA, verurteilten in Dublin die Tat gegenüber der taz scharf. Die britische Regierung verstärkte am Wochenende ihre Truppen in Nordirland um zwei Bataillone.

Protestantische Politiker forderten gestern den sofortigen Rücktritt des britischen Nordirland-Ministers Peter Brooke, der wegen seines „unsensiblen Verhaltens jegliches Vertrauen der protestantischen Bevölkerung verspielt“ habe. Nur wenige Stunden nach dem Mord an den Bauarbeitern hatte sich Brooke bei einer Talk-Show in Dublin dazu überreden lassen, das fröhliche Lied Oh my darling Clementine zu singen. Brookes Initiative, die verschiedenen Parteien zu Gesprächen an einen Tisch zu bringen, ist damit endgültig gescheitert. Es ist kaum zu erwarten, daß Brooke nach den britischen Parlamentswahlen Mitte des Jahres als Nordirland-Minister bestätigt wird, selbst wenn die Torys die Wahlen gewinnen sollten.

Personenschutz und hohe Löhne wirken nicht

Die IRA-Kampagne gegen nordirische Unternehmen, die Aufträge von Armee und Polizei annehmen, begann 1985. Die britische Regierung hatte damals ein Programm abgesegnet, in dessen Rahmen zahlreiche Polizeireviere repariert oder neu errichtet werden sollten. Seitdem sind 26 Menschen getötet worden.

Die Mordkampagne beschränkt sich jedoch keineswegs auf das Baugewerbe: Unter den Opfern befanden sich ein Obsthändler, ein Elektriker und ein Lieferant von tiefgefrorenen Pommes frites. Der Anschlag vom Freitag war der bisher schwerste gegen die „Kollaborateure“, wie sie von der IRA genannt werden. Aus der Presseerklärung geht hervor, daß die IRA irrtümlich annahm, bei den Opfern handele es sich um Arbeiter der Baufirma Henry Brothers. Dieses Unternehmen ist seit Jahren die Hauptzielscheibe der IRA in Tyrone.

1987 hatte die Organisation den Firmengründer Harry Henry erschossen. Ein Jahr später wurde das Firmengebäude Ziel eines Mörserangriffs. Kurz nachdem Harry Henrys Sohn Robert wegen Mordes an dem Sinn-Fein-Stadtrat John Davey angeklagt wurde, erschoß die IRA den Fahrer eines Lastwagens der Firma Henry und tötete einen weiteren Angestellten durch eine Bombe unter seinem Auto. Das Unternehmen, dessen Mitarbeiter seitdem rund um die Uhr unter Polizeischutz stehen, arbeitet jedoch nach wie vor für Armee und Polizei.

Arbeitskräfte-Import aus Großbritannien

Andere Firmen reagierten allerdings auf die Drohungen der IRA. Sie setzten Großinserate in nordirische Tageszeitungen, in denen sie bekanntgaben, daß sie die Arbeit für die Sicherheitskräfte eingestellt hätten. Obwohl das Nordirland-Ministerium Hunderte von Soldaten für den Schutz der Arbeiter abstellte, findet die Armee inzwischen kaum noch nordirische Unternehmen, die bereit sind, das Risiko einzugehen. Daran ändern auch die hohen Löhne nichts: So verdient zum Beispiel ein Maurer im Dienst der Sicherheitskräfte über umgerechnet 3.000 Mark in der Woche. Die Besitzer einiger Kleinunternehmen, die sich von der IRA nicht abschrecken lassen, sollen mittlerweile Multimillionäre sein. Dennoch müssen immer mehr Arbeiter aus England importiert werden. Neben Belfast entwickelt sich die Grafschaft Tyrone immer mehr zum Zentrum der mörderischen Auseinandersetzungen zwischen IRA und protestantischen Paramilitärs. Die Region ist wie ein Flickenteppich in katholische und protestantische Gebiete aufgeteilt. In einem Radius von nur 30 Kilometern um Cookstown sind in den vergangenen drei Jahren mehr als 30 Menschen getötet worden. Erst vor knapp zwei Wochen ist der 22jährige Michael Logue von einer IRA-Bombe, die unter seinem Auto plaziert war, zerfetzt worden. Die Organisation entschuldigte sich später bei seiner Familie und erklärte, sie habe aufgrund von „fehlerhaften Informationen“ gehandelt. Man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, daß der Anschlag vom Freitag einen Rachefeldzug protestantischer paramilitärischer Gruppen nach sich ziehen wird.