Kunst in der Großstadtwüste

■ Die Situation der Kulturinstitute der ehemaligen Ostblockstaaten — Zwei Ausstellungen

Die einst gut besuchten Kulturinstitute der osteuropäischen Länder in Berlin-Mitte bangen um ihre Existenz. Wegen der finanziellen Schwierigkeiten nach dem Ende des Ostblocks und nach der Veränderung der Rechtslage — man darf nicht mehr mit böhmischem Glas beziehungsweise mit der polnischen Keramik verdienen, denn das Geld wird in der Heimat für andere Zwecke benötigt. Gleichzeitig muß zum Beispiel das polnische Institut 800.000 DM Miete jährlich bezahlen (Tschechen und Slowaken immerhin 200.000 DM). Es scheint auch, daß die Anpassung an die Bedingungen des harten Wettbewerbs in Groß- Berlin noch nicht zu Ende durchgeführt worden ist. Während bei den Polen am Alexanderplatz das Team schon sehr verkleinert wurde, sieht man im Kulturinstitut der CSFR in der Leipziger Straße eine starke Truppe, die im Januar eine Ausstellungseröffnung, einen Klavierabend, eine Lesung und drei Filmprojektionen auf die Beine stellt. Dazu kommen noch zweimal in der Woche Kindertrickfilme.

Wenn allerdings die Ausstellungen nur montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr zugänglich sind, verpaßt man die Chance, das Publikum anzuziehen. Was im kommerziellen Bereich in Polen gut funktioniert — rund um die Uhr geöffnete Läden sind keine Seltenheit und verlangen auch meist keinen Aufpreis — müßte als Prinzip auch für Institutionen dieser Art eingeführt werden. Ansonsten bleibt die sozialistische Mentalität der Beschäftigten eine Insel des Anachronismus. Man braucht nicht zu übertreiben, aber ein Verzicht auf Montag und Dienstag zugunsten des Wochenendes, obwohl schmerzhaft für die Aufseher, würde den Instituten vielleicht eher einen festen Platz im Bewußtsein des Berliner Kulturpublikums sichern als die, auch nicht zu großen, Werbungsanstrengungen. Wahrscheinlich gibt es keinen sanften Übergang vom realsozialistischen Nichtstun zum postkapitalistischen Debilismus des Ladenschlußgesetzes. Dazwischen liegt der Realkapitalismus, in dem das Recht auf Faulenzen erkämpft werden will, und zwar durch harte Arbeit.

Das Programm dieser sogenannten Kulturzentren ist oft durchaus interessant und kann sich sehen lassen. Die Polen organisieren ein Begleitprogramm zum FU-Kolloquium Kunst und Literatur nach Auschwitz mit zwei Fotoausstellungen, dem Film von Edward Zebrowski nach Stanislaw Lem Das Krankenhaus der Verklärung (der Regisseur wird anwesend sein) und einigen Autorenlesungen. Das Transformtheater zeigte hier am 10. Januar die Premiere seines Stücks Water Dreams of a Shy Monster nach Joyce, ein wahres Schmuckstück der Berliner Bühnen (siehe taz vom 13.1.).

Die Tschechen und Slowaken zeigen zum ersten Mal neben einem (Exil-)Landsmann (Rudolf Valenta) die deutsche Fotografin Beatrice von Braunbehrens.

Die drei Expositionen stellen eine Begegnung in der Mitte der aus entgegengesetzten Richtungen ausgegangenen Wanderungen dar: von der Beobachtung des Äußeren her, über die Reduzierung auf die universalen Strukturaussagen der Wirklichkeit einerseits; von einer elementaren Struktur: dem Punkt, der Linie, dem Quadrat, der Zahlenreihe zu der Konstruktion, die an die Wirklichkeit grenzt, andererseits.

Rudolf Valenta, der Kreuzberger Künstler-Philosoph, wächst in den letzten Jahren zu einer unübersehbaren Größe nicht nur der Berliner Kunst heran. Seine Ausstellungen der neunziger Jahre weisen eine Qualität auf, die durchaus von einer (abermaligen) Renaissance des konstruktiven Denkens reden lassen. Die Konsequenz und Ruhe, mit der der Tscheche seinen Weg bestreitet, ist erstaunlich. Jeder nächste Schritt seiner Entwicklung folgt mit einer eisernen (meistens edelstählernen) Konsequenz und bedeutet eine Resümierung seiner bisherigen Arbeit: Nach zweidimensionalen Studien, nach Skulpturen, die die Fibonacci- Reihe und andere mathematische »Sujets« untersucht haben, nach Recherchen der biologischen Strukturen, die aus den einfachsten geometrischen Figuren ausgeführt sind, nach den in einem Bild umgeschlossenen Faltcollagen, Studien der Farbe und Form, und den Zyklen dieser Arbeiten, kamen als bislang vorletzte Entwicklungsphase die Doppelbilder. Farbige Faltcollagen, die miteinander kommunizieren und für einander Verlängerungen beziehungsweise komplementäre Ergänzungen sind. Diesmal stellt Valenta eine vier Elemente umfassende Arbeit aus. Vier Quadrate, die wiederum ein Quadrat bilden und in der Diagonale nochmals eine quadratische schwarze Form mit den farbigen Faltelementen zeigen. Allein diese Arbeit würde — emotional gesehen — eine ganze Ausstellung füllen. Doch mit dem 1978 bis 1979 datierten Polyptikon der zwölf schwarz-weißen Grafiken gewinnt die Schau einen anderen starken Akzent. Die übrigen Arbeiten bilden ein Umfeld und eine logische Ergänzung für diese beiden Meisterstücke.

Beatrice von Braunbehrens zeigt in zwei Teilausstellungen Fotos, die nach zwei verschiedenen Logiken erzeugt wurden. In der oberen Galerie sind es Versuche, den Elementen der sachlichen Umwelt nachzugehen, eine zwar subjektive, doch auch äußere Sicht der Dinge zu zeigen. Diese Strukturen haben mit der konstruierten Wirklichkeit Valentas viel gemeinsam: auch hier wird nach einer Ordnung gesucht, die in den Zusammenhängen, Korrespondenzen und Dialogen der Aussichten liegt. Das Schwarz-Weiße der Arbeiten hilft, nach der — wahrlich nichteuklidischen — Geometrie zu Fragen, die in einer gekritzelten Landschaft steckt, nach dem Rhythmus der Schritte, die von den quergesetzten Pflastersteinen abzulesen sind.

In der unteren Galerie treffen wir Menschen, die von der Fotografin auf eine besonders sanfte Weise porträtiert worden sind, die mit der so oft praktizierten Art des analytischen, durchdringenden Fotografierens keine Verwandschaft zeigt. Die Fotografien sind ein Gegenpol für die Porträtfotografie Krzysztof Gieraltowskis. In der Galerie des »Institutes für Auslandsbeziehungen« (Friedrichstraße, gegenüber dem Bahnhof) kann man Ergebnisse seiner Vivisektionen betrachten: seine Objekte, polnische Prominente, in Zwangsjacken (wörtlich!) und anderen Qualsituationen. Immer der Dominanz des Künstlers unterworfen (siehe taz vom 15.1.). Beatrice v. Braunbehrens quält eher sich selbst: Wenn sie schon die Rodcenko-Linie in der Porträtfotografie fortsetzt, die vom Zufall als eigentlicher schöpferischer Kraft spricht, hilft sie demselben durch ihre gestaltpsychologische Intuition nach. Die Person soll dabei nicht entblößt, verletzt oder provoziert werden, sondern in einer aus einem durch Geduld und positiven Einfluß der Fotografin entstandenen Zufall festgehalten werden.

Mal beim Essen, mal beim Trinken, mal bei der Arbeit: in alltäglichen, typischen Situationen finden die Begegnungen statt, die der Persönlichkeit der Künstlerin am meisten zu entsprechen scheinen: eine ruhige und entspannte Konzentration auf der Begegnungsebene. Vielleicht sind ihre Doppelporträts deshalb am faszinierendsten, weil sie das Wesen dieser Fotografie — den Dialog! — bewußt machen. Piotr Olszowka

Im Tschechischen Kulturinstitut, Leipziger Straße 60, bis 29. Januar, mo.-fr. 10-18 Uhr.