: Skins zerschnitten Polen die Zunge
■ Neunzehnjähriger Tourist wurde von drei Skinheads brutal mit Gartenschere und Betäubungsspritze mißhandelt/ Vorfall ist bisher einzigartig in Berlin
Moabit. Die Brutalität, mit der in Berlin Ausländer auf offener Straße überfallen werden, nahm am Wochenende bisher ungekannte Ausmaße an: Mit Messer, Betäubungsspritze und Gartenschere überfielen in der Nacht zum Sonnabend drei Skinheads einen neunzehnjährigen Polen in der Turmstraße. Sie zerrten ihn in eine öffentliche Parkanlage und bedrohten ihn mit einem Messer. Einer der Täter riß dem polnischen Jungen den Mund auf und jagte ihm eine Betäubungsspritze in die Zunge. Danach versuchten die drei Skins, ihm die Zunge mit dem Messer abzuschneiden. Als dies mißlang, griffen sie zur Gartenschere und schnitten ihm etwa ein Drittel seiner Zunge ab. Anschließend flohen die Täter, von denen bisher jede Spur fehlt.
Der neunzehnjährige Jacek A. schleppte sich nach dem Überfall zum Krankenhaus Moabit. Von dort wurde er in die kieferchirurgische Abteilung des Rudolf-Virchow- Krankenhaus in Wedding überführt und dort operiert. Die Operation verlief ohne besondere Komplikationen. Gestern nachmittag war Jacek in seinem Krankenhausbett bereits wieder halbwegs guter Dinge und führte seine frischgenähte Zunge vor. Sein Sprechvermögen hat er allerdings noch nicht vollständig zurück. Mit Mühe bastelt er verständliche Sätze zusammen. Noch ist völlig unklar, ob er keine bleibenden Sprachfehler zurückbehält.
Der neunzehnjährige Jacek glaubt, daß die Täter wußten, daß sie es mit einem Ausländer zu tun hatten. »Sie haben mich als Polen überfallen«, sagte er gestern gegenüber der taz. Ein persönliches Motiv können die Skinheads kaum gehabt haben: Jacek ist als Tourist erst seit einigen Tagen in der Stadt. Er war auf dem Weg vom Imbiß zur U-Bahn, als ihn die drei mit Bomberjacken und Springerstiefeln bekleideten jungen Männer im Alter von etwa 22 Jahren ins Gebüsch zerrten. Der genaue Tatort ist bisher noch nicht geklärt.
Nach Angaben der Polizei ist der Überfall auf den Polen bisher einzigartig. Daß Skinheads mit Spritzen, Messern und Scheren auf Ausländer losgingen, sei bislang noch nicht vorgekommen. Mit »Erschütterung« reagierte gestern die Polnische Botschaft auf den Überfall. Ein derartig brutaler Angriff auf polnische Landsleute sei bisher nicht vorgekommen, teilte deren Sprecher Tanislav Koreycinski mit. Allem Anschein nach sei der Überfall gezielt vorbereitet gewesen. Denn: »Wer sonst trägt eine Gartenschere und eine Betäubungsspritze mit sich herum?«
Ein Mitarbeiter der Konsulatsabteilung stattete Jacek gestern einen Besuch im Krankenhaus ab. »Die Täter haben genau gewußt, daß sie es mit einem Polen zu tun gehabt haben«, sagte er nach seiner Rückkehr. Der junge Pole jedenfalls wird nach seiner Genesung mit einem bleibenden Eindruck von Deutschland wieder nach Polen zurückkehren.
Drei weitere Polen wurden am Wochenende Opfer eines Überfalls an der Autobahnausfahrt Storkow: Fünf Männer griffen ein liegengebliebenes Auto und dessen drei polnische Insassen mit Holzknüppeln an, zerstörten alle Scheiben und skandierten »Weg mit polnischen Schweinen!« Jeannette Goddar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen