„Rote Rose des Ostens“

Murmansk (taz) — Seitdem die Grenze im hohen Norden durchlässiger geworden ist, Touristenreisen ohne allzu langwierige Visumformalitäten möglich sind, hat sich in Murmansk ein neuer Geschäftszweig kräftig entwickelt und in Norwegen und Finnland ein neues Reiseziel für den Sextourismus aufgetan.

Prostitution gab es im Devisenhotel „Arctica“ für westliche Geschäftsleute schon immer. Jetzt werden ganze Busladungen vorwiegend männlicher „Touristen“ jede Woche nach Murmansk gekarrt. Touristen, die neben Sex eigentlich nur noch am billigen Alkohol interessiert sind.

150 Kronen (40 DM) ist der aktuelle Kurs bei den Frauen im Hotel „Arctica“. Ebensoviel, wie ein reichliches Mittagessen kostet. Für jemand, der Westvaluta hat. In Rußland sind 150 Kronen knapp 3.000 Rubel. Das Sechsfache des monatlichen Durchschnittlohns. Es ist kein Wunder, daß die russische Mafia, die das Prostitutionsgeschäft fest in der Hand hat, keine Probleme mit „Nachschub“ hat. „Die Skandinavier geben mehr Geld für Sex als für Essen aus“, erzählt Boris, mir schon von früheren Aufenthalten als Schwarzgeldwechsler bekannt und irgendwie auch in dem Umfeld tätig, das man Mafia nennt: „Wenn sie drei Tage hier sind, versuchen sie sich fünf Frauen zu kaufen. Immer eine andere.“ Er dürfte nicht ganz falsch liegen mit seiner Beobachtung. In der Hotelhalle treffe ich drei Schweden, die mir ungefragt von ihren Sexerlebnissen berichten. Es sind Lehrer, auf Klassenfahrt mit ihren SchülerInnen.

Den Sextourismus bekommen auch die Gesundheitsbehörden in Norwegen und Finnland zu spüren. Die Rate der Geschlechtskrankheiten im Norden hat einen Knick nach oben bekommen. In Tromsö haben Ärzte die zwölf ersten Fälle der „Roten Rose des Ostens“, einer besonders schmerzhaften und widerstandsfähigen Abart der Gonorrhoe, festgestellt, die erstmals im Vietnamkrieg auftauchte: Sie ist gegen die meisten Antibiotika resistent. Alle der Patienten waren in Murmansk. Von HIV wird gemunkelt, Beweise gibt es noch keine. Verkehr ohne Kondom ist in Murmansk nur eine Frage des kleinen Aufgelds auf den Normaltarif. Am norwegischen Grenzübergang Storskog sollen jetzt große Hinweistafeln aufgestellt, Informationsmaterial ausgelegt und Präserautomaten aufgestellt werden. „Auch in der Damentoilette“, betont eine Ärztin des Gesundheitsdienstes in Kirkenes, die es wohl wissen muß: Der Sextourismus lockt nicht nur Männer in den Osten. Reinhard Wolff