Suche nach dem harmonischen Endlager

Trotz Gebührenerhöhung bleibt bei ARD und ZDF die Finanzkrise/ Mehr Werbung, weniger Programm?  ■ Von Philippe Ressing

Der Januar ist nicht nur der Monat der guten Vorsätze, sondern auch der der Preissteigerungen und Gebührenerhöhungen. Dies werden jetzt alle diejenigen feststellen, die brav ihre Rundfunkgebühren bezahlen. Seit dem ersten Januar müssen monatlich 23,80DM für TV und Radio bezahlt werden, 4,80DM mehr als bisher. Obwohl bereits 1990 die Gebühren angehoben wurden, haben ARD-Anstalten auch weiterhin finanzielle Probleme, deren Folgen auch die Programme beeinflussen.

Die Gebührenerhöhung wird nur zum Teil den Programmen von ARD und ZDF zufließen. Indirekt profitieren von der Gebührenerhöhung auch die Kommerziellen, denn zwei Prozent der gesamten Rundfunkgebühren gehen an die Landesaufsichtsanstalten für den Privatfunk. Für zusätzliche Aufgaben der Öffentlich-rechtlichen, wie den umstrittenen TV-Kulturkanal, gehen allein 75Pfennig der zusätzlichen 4,80DM drauf — ein Projekt, das den medienpolitischen Begehrlichkeiten einzelner Ministerpräsidenten entsprang und bei ARD und ZDF kaum auf Begeisterung stößt. Bisher finanzierte der Bund einen großen Teil der Etats von Deutschlandfunk und Rias. Mit der jetzt stattfindenden organisatorischen Neuordnung dieses Bereichs und der Eingliederung des von der DDR übriggebliebenen Deutschlandsenders (DS-Kultur) werden die Kosten zu den Rundfunkgebühren hinzugerechnet, was weitere 75Pfennige aus dem Topf der Erhöhung ausmacht. Zum Schluß geht dann noch eine Aufbau-Mark an die neu zu schaffenden ostdeutschen Rundfunkstrukturen. Somit bleiben ARD und ZDF selbst weniger als 50Prozent der Gebührenerhöhung für ihr laufendes Programm.

Die Finanzlage in den Landesanstalten der ARD sieht ohnehin nicht sehr rosig aus. So rechnet man beim Hessischen Rundfunk im neuen Jahr mit einem Defizit von 36 Millionen Mark — trotz Gebührenerhöhung. Bis Ende 1995 ist gar ein dreistelliges Millionendefizit hochgerechnet. Ein Grund für die Schieflage ist der massive Einnahmeverlust aus der Werbung. Die kleinste ARD-Tochter, Radio Bremen, rechnete für das letzte Jahr mit fünf Millionen Miesen bei einem Gesamtetat von knapp 150 Millionen. Der Bayerische Rundfunk rechnet heuer zwar mit einem Überschuß von gut 27 Millionen Mark, würde aber ohne den Gebührenschub 92 Millionen Verlust machen. In diesem Jahr wird mit einem weiteren Schrumpfen der Werbeeinnahmen in einer Größenordnung von über zehn Prozent, vor allem im Hörfunk, gerechnet. Die größte Landesanstalt, der Westdeutsche Rundfunk, erwartete im vergangenen Jahr ein Defizit von 100 Millionen Mark bei Ausgaben von 1,5 Milliarden. Auch hier geht man davon aus, daß die Werbeeinnahmen weiter sinken. Der Sender Freies Berlin, schon seit Jahren Sorgenkind der ARD, ist durch die Wiedervereinigung zusätzlich ins Schleudern gekommen. Fusionsverhandlungen mit dem Ostdeutschen Rundfunk in Brandenburg kommen kaum voran. Der Plan für dieses Jahr rechnet mit zwölf Millionen Mark Verlust bei einem Gesamtetat von 380 Millionen. Auch der Südwestfunk in Baden-Baden erwartet ein Minus: 100 Millionen Mark im Jahr 1992 — wobei allerdings die zusätzlichen Gebühreneinnahmen noch nicht eingerechnet sind. Die Werbetochter rechnet mit Einnahmeverlusten von über acht Millionen Mark. Der benachbarte Süddeutsche Rundfunk in Stuttgart rechnete für das Jahr 91 mit einem Defizit von zehn Millionen. Last but not least erwarteten die Nordlichter vom NDR im Jahr 91 rote Zahlen in Höhe von 50 Millionen Mark.

Nun gehört auch bei ARD-Intendanten Klappern zum Handwerk, und so manche im letzten Jahr düstere Prognose zeigt sich nach der Gebührenerhöhung in den real erwirtschafteten Zahlen etwas freundlicher. Trotzdem handelt es sich nicht um Zweckpessimismus, wenn man sich die Finanzentwicklung und ihre Auswirkungen auf die Programme betrachtet. Allein die angeführten Einnahmeverluste im Werbebereich erklären, wieso das ARD- TV-Vorabendprogramm nunmehr vollständig nach den Interessen der Werbewirtschaft zugerichtet wird. „Spätestens ab April 1992“, so Peter Werner, Vorsitzender der ARD- Programmkommission, seien alle Vorabendprogramme endgültig „harmonisiert“. Die Infosendungen sollen in drei Blöcke von acht bis zehn Minuten Länge zerlegt werden. Dies, so Werner, sei „keine Hinrichtungsart, sondern eine Einladung zur Entfaltung journalistischer Phantasie“. Für ambitionierte Regionalmagazine wie das bremische buten und binnen bedeutet dies das Aus. Die jahrelange „Salamitaktik“, die „störenden“ Informationssendungen auf die Dritten-Fernsehkanäle zu verdrängen, findet so ihren logischen Höhepunkt, aber sicher noch nicht ihren Abschluß. Der ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Nowottny sieht nur in der „Vollharmonisierung“ eine Möglichkeit, die Einnahmeverluste der ARD-Werbetöchter in dreistelliger Millionenhöhe aufzufangen. Es stellt sich auch die Frage, ob der Ausbau der Satellitenprogramme 1plus und 3sat zu Vollprogrammen durch ARD und ZDF langfristig die Hauptprogramme von anspruchsvollem „Ballast“ befreien soll. Diese Endlagerung würde spätestens dann akut, wenn das Verbot der Werbung nach 20Uhr bei ARD und ZDF fiele.

Im Hörfunkbereich wird eine mögliche Reduzierung der Programme bei den ARD-Anstalten bereits seit Jahren diskutiert. Zwar hören werktags etwa 32 Millionen Menschen in der BRD ein ARD-Hörfunkprogramm — ein Wert, der trotz Verlusten an kommerzielle Sender relativ stabil geblieben ist. Aber 29 Millionen HörerInnen schalten dabei die öffentlich-rechtlichen Dudelwellen ein, während die anspruchsvollen Programme von „nur“ zwei Millionen Menschen eingeschaltet werden. Dies erklärt, warum Hartwig Kelm, Intendant des Hessischen Rundfunks, bereits im Mai 1990 Überlegungen ankündigte, ob „40 ARD- Hörfunkprogramme wirklich notwendig“ seien. Der Intendant des Saarländischen Rundfunks, Manfred Buchwald, ging gleich in die Vollen und forderte eine Halbierung auf 20 Programme. Diese Überlegungen dürften vor allem die teuren Programme, also die Kultur und die ausführliche Information, treffen. Zwei Entwicklungen in der Zukunft deuten sich an: Frequenzen und Sendernamen bleiben erhalten, doch der Großteil der Programme wird als „Mantel“ zentral oder von größeren Anstalten für alle erstellt. Die andere Möglichkeit böte sich bei der Umgestaltung der Bundesrundfunkanstalten an. Bereits jetzt definieren sich Deutschlandfunk und DS-Kultur als bundesweite Informations- und Kultursender. Die derzeit stattfindenden Verhandlungen über die „Integration“ der Sender unter einem gemeinsamen Dach von ARD und ZDF könnte langfristig ein gefährliches Argument zur Reduzierung der anspruchsvollen Programme bei den Landessendern werden.