Honigmond mit Hundemund

Zwei Uraufführungen in Wien: Werner Schwabs „Mein Hundemund“ im Schauspielhaus und Gabriel Baryllis „Honigmond“ im Akademietheater  ■ Von Dieter Bandhauer

Seit dem Tod Thomas Bernhards und durch sein Testament hat das Burgtheater Claus Peymanns nicht nur seinen wichtigsten Autor verloren, sondern offensichtlich auch seine moralisch-dramaturgische Instanz. Bernhard hätte es sich sicherlich verbeten, gemeinsam mit einem Autor wie Gabriel Barylli auf ein und demselben Spielplan aufzuscheinen. Vom Geist Bernhards verlassen, scheint die Burgtheaterdramaturgie gleich von allen guten Geistern verlassen. Nach Uraufführungsfiaskos von Hochhuth bis Manfred Karge hat man in dieser Saison orientierungslos und zielstrebig in die unterste Schublade gegriffen und programmierte Flops hervorgezaubert, die möglicherweise auch noch Publikumserfolge werden. Nachdem Barylli an sein eigenes Werk Hand angelegt hat, wartet man jetzt noch auf André Hellers Streich, den er selbstvergessen und -versessen dem Burgtheater spielen wird.

Gabriel Barylli jedenfalls hat mit seinem Honigmond Peymanns Anspruch, die erste Bühne im deutschen Sprachraum zu sein, eine totale Sonnenfinsternis beschwert.

Aber bekanntlich kommt eine schöne Bescherung selten allein. In Baryllis Drei-Mäderl-Haushalt jedenfalls weihnachtet es sehr. Im ersten Akt „wartet“ (so seine Regieanweisung) ein Nadelbaum darauf, geschmückt zu werden. Im zweiten Akt werden jene Honigmonde gebacken, die dem Stück den Namen und des Autors Vorlieben für Kulinarisches Ausdruck geben: Es muß ja nicht immer Butterbrot sein. Und nachdem eine der Mitbewohnerinnen im Weihnachtsmannkostüm zornbebend von ihrem Verlobten zurückgekommen ist, werden uns so viele Lichtlein auf der Bühne angesteckt, daß die heraufbeschworene Vergangenheit anbrennt: „Aus dem Ofen hat es zu duften begonnen, und ich habe ich (naturgemäß der Großmutter) zugehört, wenn sie mir Geschichten erzählt hat.“

Doch Baryllis Ort ist das „Hier“, und seine Zeit ist das „Heute“. Und da hier und heute die Partnerschaften in der Krise stecken, kann uns derHonigmond-Autor bei allem Optimismus keine intakten Beziehungen vorführen. Elisabeth Augustin spielt betulich die betuliche Therapeutin Christine, die ihrem geschiedenen Mann nachtrauert, aber ihn mit ihrem Beruf nicht unter die Haube bekommen kann. Ulrike Beimpold als Linda ist jene Version einer Femme fatale, die mit schnippischen Antworten solange die Lacher und die nur per Telefon zu Wort kommenden Männer auf ihrer Seite hat, bis sie von Baryllis biologischer Dramaturgie geschwängert und zur Strecke gebracht wird. Zwischen diesen beiden Frauen, diesen — wie Linda meint — „sich (!) anziehenden Gegensätzen“, ist noch ein wenig Platz für Regina Fritschs Barbara: eine flachbeschuhte Hausmaus, die, von ihrem Mann betrogen, nach viel Tränen und einigem Alkohol zeigt, was in ihr steckt — nämlich die Schauspielerin Fritsch, die problemlos den Umstieg auf Stöckelschuh und Glitzerkleid schafft.

Gabriel Barylli, der auszog, zu beweisen, daß er auch für Frauen Rollen schreiben könne, hat gleich die Sache der Frauen zu seiner eigenen gemacht — mit dem Ergebnis, daß alle männlichen Vorurteile gegenüber den Frauen von den Frauen selbst spielend erbracht werden können, wenn ihnen ein Mann wie Barylli das Wort leiht.

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Doch Wien ist eine Theaterstadt der Gegensätze — Gegensätze, die einander aber wahrlich nicht anziehen. Daß die Frontlinie zwischen dem Burg- beziehungsweise Akademietheater und dem Schauspielhaus verläuft, ist neu. Bis zum Tag, an dem am Akademietheater der Honigmond wie ein Germteig aufgegangen ist, wäre von so mancher Gesinnungsverwandtschaft dieser beiden Häuser zu sprechen gewesen. Daß aus Gründen des Konkurrenzkampfes die mächtigere Burg dem kleineren Schauspielhaus die zweite Uraufführung eines Stückes von Werner Schwab innerhalb eines Jahres nicht gegönnt und den Grazer Autor wegengagiert hätte, wäre vorstellbar gewesen. Daß aber Schwabs Mein Hundemund unfreiwillig komisch vom Honigmond angejault wird, ist eine Antwort, die Peymanns Gegner nicht versöhnen, seinen Anhang aber vor den Kopf stoßen wird.

Der Kontrast wird auch nicht dadurch abgeschwächt, daß Werner Schwabs dem Zyklus der Fäkaliendramen angehörendes Stück Mein Hundemund durch Ernst M. Binder und Christian Pölzl keineswegs adäquat in Szene gesetzt wurde. Die Qualitäten dieses in die Labyrinthe der Sprach-Gedärme eindringenden, peristaltisch die Satzteile ineinander- vorwärts schiebenden Textes bleiben spürbar.

Dabei wäre Rainer Frieb ein idealer Darsteller des Hundsmaulsepp — eines kriegsversehrten, vom Alkohol zerfressenen Kleinbauers, dessen Sprache gleichermaßen soziologisch determiniert ist, wie sie ihm als Kunstprodukt über den Kopf wächst. Nur zu Beginn wird Frieb von der Regie dazu angehalten, den Text auf zwei Ebenen, mit zwei Stimmen zu sprechen: mit der künstlich zittrigen Stimme seiner Figur und mit der natürlichen des Schauspielers.

Mit Fortgang des Stücks gräbt sich Frieb aber immer stärker in das Innenleben des Hundsmaulsepp ein, bis er tatsächlich mit dem Gewicht in der Erde wühlt — aber nicht mehr in Schwabs Text, den die Regie noch mit so manchem Einfall billig illustriert. Frau und Sohn, Ute Uellner und Rudi Widerhofer, die den Alten buchstäblich aus dem Haus und dem Leben hinausreden, werden in Binder/Pölzls Regie zu Provinz-Karikaturen verharmlost. Die Versuche, die schroff monologische Struktur des Stücks zu Dialogsituationen aufzuweichen, mußten zwar scheitern, sind aber in ihren Ansätzen bereits störend genug.

Gabriel Barylli: Honigmond. Regie: Gabriel Barylli, Bühne: Egon Strasser, Akademietheater, Wien. Nächste Aufführungen: 23., 28. und 30.Januar.

Werner Schwab: Mein Hundemund. Regie: Ernst M. Binder/ Christian Pölzl, Bühne: Luise Czerwonatis, Schauspielhaus, Wien. Nächste Aufführungen: 25. und 28.Januar.