Regieeinfall: Fehlanzeige

Becketts „Glückliche Tage“ in Frankfurt  ■ Von Jörg Rheinländer

Seien wir ehrlich. Samuel Beckett ist längst zum Klassiker geworden. Lange vorbei sind die Zeiten, da seine Stücke auf den Bühnen schockierten. Daß man mit einigen seiner Texte noch immer irritieren und für eine spannende Theaterarbeit sorgen kann, haben in Frankfurt Regisseure wie Peter Palitzsch im vergangenen Jahr mit Warten auf Godot oder Klaus Michael Grüber 1987 mit einer aufs äußerste reduzierten Version von Das letzte Band — das Schauspielerdenkmal Bernhard Minetti spielte damals den Krapp — bewiesen.

Bei einigen Stücken Becketts ist das künstlerische Mindesthaltbarkeitsdatum allerdings überschritten. Da müßte dann schon die Regie dem Stück eine neue Brisanz verleihen. In Peter Eschbergs Frankfurter Inszenierung von Glückliche Tage tut sie das nicht.

Glückliche Tage ist eine andere Variation jenes Themas, das Beckett sein Leben lang in unterschiedlicher Form beschäftigte. Alle Texte kreisen um das „Nichts zu machen“, um die Geschlagenen, die sich nicht geschlagen geben wollen: weil sie gar nicht wissen, daß sie es sind.

Winnie und Willie, das ältliche Paar aus Glückliche Tage, hat sich nichts zu sagen. Winnie quatscht beständig — vom Verlust der Beweglickeit, der Worte, des Denkens —, und Willie schweigt beharrlich dazu. Eine Kommunikation findet nicht statt. Nicht mehr.

Bis zur Brust eingegraben in einen Erdhügel simuliert Winnie ein normales Leben — im sichtbaren Gegensatz zu ihrer tatsächlichen Situation. Die in der Realität unsichtbare Wahrheit wird in der Bühnenmetapher überdeutlich. Selbst gegen Ende des Stückes wird Winnie nicht müde, darauf zu beharren, daß alles in Ordnung sei: Obwohl die Erde ihr inzwischen bis zum Hals reicht. „Keine Besserung, keine Verschlimmerung, keine Veränderung“, lautet Winnies Lieblingssatz. Und er ist so falsch wie die ständig wiederholte Selbstbeschwörung, daß auch dieser Tag wieder ein glücklicher sein wird.

In Frankfurt hält sich Eschberg streng an Becketts Vorgaben. Nur die weite Grasebene unter einem weiten Himmel läßt er weg und verwandelt die Bühne in eine zeitlos schwarze Kammer. Über die Szenerie gleitet am halbrunden Gestell ein Scheinwerfer: die Sonne.

Winnie steckt in einem rotbraunen Erdhaufen, der vorn und hinten von Plexiglasscheiben in Form gehalten wird. So schaut im naturkundlichen Museum der längsgeschnittene Termitenbau aus — mit dem Unterschied, daß man dort das Innenleben demonstriert, während Winnie hier verborgen bleibt.

Wenn es in Becketts Regieanweisung heißt, „zu ihrer Linken, neben ihr auf dem Boden, ein großer schwarzer Ledersack, eine Art Einkaufstasche“: dann macht das Eschberg auch genau so. Der Sonnenschirm liegt rechts, wo er liegen soll, und die halbzerdrückte Zahnpastatube ist tatsächlich halbzerdrückt, und so weiter und so fort. Beckett gibts vor, Eschberg machts nach. Regieeinfall: Fehlanzeige.

Carmen-Renate Köper als Winnie schaut aus wie eine Kreuzung aus Mutter Beimer und Maggie Thatcher. Mit spitz zulaufender Brille, Modell fünfziger Jahre, einem billigen Dessous und einem federbewehrten türkisfarbenen Hütchen stürzt sie von einer Laune in die andere: mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt. Das nimmt man ihr manchmal ab — und manchmal nicht; dann nämlich, wenn sie die Stilisierung der Posen überzieht. Da geht die beckettsche Einheit von Komik und Tragik einfach flöten. Sie müßte Augen und Mund nicht so weit aufreißen, um Schrecken zu demonstrieren; sie müßte nicht dieses gefrorene Werbelächeln aufsetzen, um falsche Emotionen zu zeigen. Aber sie tut es.

Klaus Bauer entledigt sich der kleinen Rolle des Willie, von dem man fast bis zum Schluß nur den strohbehüteten Hinterkopf sieht, routiniert. Wenn er am Ende den vergeblichen Versuch unternehmen muß, Winnies Hügel zu erklimmen, scheitert er schön, auf allen Vieren kriechend wie ein besoffener Hund. Viel falsch machen kann er da nicht.

Aber das wars dann auch. Das Ärgerlichste an diesem Abend ist, daß man sich nicht mal richtig ärgert: Die zwei Stunden ziehen an den Zuschauern vorüber, ohne Spuren zu hinterlassen. Ein solider Theaterabend ist das, mehr nicht. Solide: und damit meilenweit von dem entfernt, was sich Frankfurts neuer Schauspielintendant Eschberg vor der Spielzeit vorgenommen hatte. Er wolle das Schauspiel wieder dorthin zurückführen, hatte er verkündet, wo es seiner Meinung nach hingehöre: unter die ersten Sprechbühnen der Republik. Nach dem Flop mit der Rotkäppchen-Inszenierung von Hans Hollmann, der auf Unterhaltung getrimmten Jungfrau von Orléans von Anselm Weber und seinem eigenen, braven Theaterabend ist von einem Aufwärtstrend jedenfalls wenig zu spüren.

Samuel Beckett: Glückliche Tage. Inszenierung: Peter Eschberg, Bühne: Peter Pabst, mit Carmen- Renate Köper, Klaus Bauer. Nächste Aufführungen: 23. und 31.Januar.