„Ein Armutszeugnis für die Republik“

■ Interview mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder über den Regierungsentwurf für ein neues Asylverfahrensgesetz und die Haltung der SPD in der Asyldebatte

taz: Ein Mindestmaß an Vernunft in der Asyldebatte haben Sie in Briefen an Björn Engholm und Hans-Ulrich KLose eingefordert. Wo läßt es ihre Partei an Vernunft vermissen?

Gerhard Schröder: Es fehlt nicht der Partei an Vernunft, sondern einigen Experten in der Partei, die nicht zureichend nachgedacht haben. Der Parteienkompromiß zum Asylverfahren sollte die Verfahren beschleunigen und dabei die rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze wahren. Beides fehlt im Entwurf für ein neues Asylverfahrensgesetz von Rudolf Seiters.

Diesem sieben Wochen alten Entwurf hat die Bonner SPD im Grundsatz zugestimmt, und Sie erwarten nun von der SPD-Präsidiumssitzung die Umkehr, die späte Erleuchtung ihrer Spitzengenossen.

Der Hauptmangel des Entwurfes besteht in der weiteren Doppelgleisigkeit der Verfahren. Über die Asylverfahren entscheidet das Zirndorfer Bundesamt. Über die Bleiberechte entscheiden meist wie bisher die Ausländerbehörden in den Ländern oder Kommunen. Weil diese Doppelgleisigkeit nicht aufgegeben wird, kann das Beschleunigungsziel nicht erreicht werden. Dies will der Bund auch aus finanziellen Interessen verhindern. Wenn der Bund, wie im Asylkompromiß vorgesehen, zum alleinigen Herrn des Verfahrens wird, muß er auch die Kosten für Verfahren und Unterbringung tragen. Auch dies muß man zur Sprache bringen. Der Ausgang der Debatte ist offen, weil unverständlicherweise einige SPD-Länder mit dem Seiters-Entwurf zufrieden zu sein scheinen.

Der Entwurf sieht gleich eine Reihe von Änderungen für die Asylstreitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten vor.

Änderungen in diesen Verfahren halte ich für überflüssig. Die Verzögerungen resultieren aus den Anerkennungsverfahren beim Zirndorfer Bundesamt. Die gerichtlichen Verfahren laufen schon heute in der kürzestmöglichen Zeit; weitere Eingrffe sind nicht nötig. Unsinnig ist auch der Seiters-Vorschlag, gegen Asyl-Ersturteile nur noch die Vorlage beim Bundesverwaltungsgericht zuzulassen. Dies würde das Bundesverwaltungsgericht mit Verfahren überschwemmen. Dieses Gericht ist eine Revisionsinstanz, die Frage, ob jemand wirklich verfolgt ist, ist eine Tatsachenentscheidung.

Warum trägt die SPD bisher den im Entwurf vorgesehen Lagerrichter, den Einzel-Verwaltungsrichter im Sammellager, mit?

Das verstehe ich auch nicht. Meine Partei sollte auf keine Fall Richter mittragen, die in den Lägern arbeiten. Es ist nicht Sache der Justiz, dort tätig zu werden, sondern in den Gerichten. Asylfälle müssem immer erst an die Verwaltungsgerichtskammern gehen. Ein einzelner Richter kann schon jetzt bei offensichtlich unbegründeten Fällen entscheiden. Alle anderen Regelungen wären rechtsstaatlich bedenklich.

Der Gesetzentwurf ermöglicht die Verhaftung der vielen einreisenden Flüchtlinge, deren Papiere nicht stimmen, und er verschärft die obligatorischen Gründe für Abschiebehaft. Einen Flüchtling erwartet dadurch womöglich der Weg: Gefängnis, Sammellager, Gefängnis.

Diese Vorstellung halte ich für übertrieben. Aber sie könnte immerhin möglich werden, und das wäre ein Fehler. Schließlich reisen die meisten abgelehnten Asylbewerber heute freiwillig aus, ohne daß Abschiebehaft angeordnet wird. Daher gibt es für solche einschränkenden Regelungen keinen Grund.

Der Seiters-Entwurf gibt den Unterkunftseinrichtungen sogar polizeiliche Befugnisse über die Flüchtlinge.

Soweit dies für ein Mindestmaß an Planbarkeit in den Unterkünften notwendig ist, wird man darüber nicht hinweggehen können. Allerdings wollen wir ja kleine Unterkünfte in überschaubarer Größenordnung, die Restriktionen überflüssig machen. Die vom Bundesinnenminister bisher vorgeschlagene Größe von mindestens 500 Plätzen führt dagegen zu sozialen Konflikten in den Einrichtungen und könnte sie zu Brennpunkten gewalttätiger Aktionen von außen machen.

Dieser Entwurf ist das gesetzgeberische Resultat nach einem Jahr der Angriffe gegen Flüchtlinge.

Deswegen wäre es ein Armutszeugnis für die Bundesrepublik, wenn dieser Entwurf Gesetz würde. Er sollte zurückgezogen werden. Wenn man ihn doch als Basis nimmt, würde er so zu verändern sein, daß von ihm faktisch nichts mehr übrigbleibt. Hier liegt auch einer meiner zentralen Kritikpunkte an der bisherigen Strategie der SPD. Wir hatten doch gerade eine Situation erreicht, in der die bisherige unwürdige Debatte über Asyl, die einseitig nur über Verfahrensbeschleunigung geführt wurde, in der Öffentlichkeit umkippte. Die vorzeitig hergestellte Gemeinsamkeit der Fraktionen im Bundestag über den Entwurf könnte nun dazu führen, daß man fälschlicherweise zu der alten unwürdigen Debatte zurückkehrt. Das halte ich für sehr gefährlich.

Mit welchen Mitteln hoffen Sie, sich im SPD- Präsidium durchzusetzen?

Erst einmal bin ich an der Debatte persönlich beteiligt. Wenn ich unterliegen sollte, werde ich deutlich machen, an welchen Punkten das geschehen ist. Dann wird später jeder aus der SPD-Führung auf einem Parteitag begründen müssen, warum er so und nicht anders abgestimmt hat. Das Interview führte Jürgen Voges